ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
Decke. Die Augen brannten. Sein Mund war trocken und aus seinem Ohr lief Wasser und kitzelte ihn am Hals.
„Ich nicht.“
Es war Eddas Stimme.
Simon drehte sich um und blickte direkt in Eddas Augen. Sie saß auf dem Bett gegenüber an der Wand, die Beine hochgezogen, und schaute ihn an.
„Was machst du hier?“, fragte er. Gerade hatte er geträumt, seine Knochen wären aus dunkelblauem Eis und würden bei jeder Erschütterung zerbrechen. Nun dehnte und streckte er sich langsam, nahm seinen Körper wieder bewusst wahr, der schmerzte und einen üblen Muskelkater produziert hatte.
„Wo bin ich?“, wollte er fragen, doch aus seinem Mund drangen nur kratzige Laute. Simons Stimmbänder waren angefressen durch das salzige Wasser und sein lautes Schreien. Schrammen und kleine Schnitte von den scharfen Seepocken waren auf seinen Händen zu sehen und auf seinem Gesicht zu fühlen. Jemand hatte sie mit Jod desinfiziert. Ein Traum war es nicht gewesen – was immer auch geschehen war. Langsam kehrte die Erinnerung zurück: Völlig unvermittelt hatte die geglückte Flucht aus Berlin auf den letzten Metern in einer Katastrophe geendet, denn irgendetwas hatte sich verändert. Etwas, das er nicht beschreiben oder in Worte fassen konnte.
Etwas.
Aber was war es gewesen? Aus blutunterlaufenen Augen starrte Simon Edda an.
„Ich weiß“, sagte sie, als erriete sie seine Gedanken. „Irgendwas stimmt nicht mit uns. Ich hab aber keine Ahnung, was es ist.“
Sie sahen sich an. Und dann lächelte sie. Aber es war kein Lächeln für einen Menschen, den man liebt. Das spürte Simon sofort. Es war das Lächeln aus Mitleid und einer Art Zuneigung, wie man sie für einen kleinen Bruder verspürt.
„Fast wärst du ertrunken“, sagte sie leise.
War da Stolz in ihrer Stimme? Wusste Edda, dass Simon ins Wasser gestürzt war, weil sie sich in die Augen geschaut hatten? Weil er sie retten wollte. Weil er alles für sie getan hätte. Weil er ihr beweisen wollte, wie sehr er sie liebte.
„Mein kleiner Bruder“, sagte Simon nur. Seine Stimme versagte wieder.
Für eine Sekunde wartete Edda darauf, dass Simon ihre Rolle bei dem Vorfall ansprechen würde, doch er tat es nicht. Warum gab er nicht zu, was ihn so verunsichert hatte? Was dazu geführt hatte, dass er fast ertrunken wäre? Oder irrte Edda sich? Simon richtete sich auf. Obwohl er erschöpft war, spürte er, dass ihm die Bewegung guttat. Er erhob sich und ging zu dem Bullauge. Draußen hatte sich die See beruhigt. Edda kam zu ihm, stand lange da. Simon rührte sich nicht. Er wusste nicht, was er tun sollte. Sie war ihm so nah und doch so weit entfernt. Da legte sie ihm die Hand auf die Schulter. Simon schloss die Augen.
„Wir dürfen nichts zwischen uns kommen lassen, egal was passiert“, sagte Edda mit leiser Stimme.
Vorsichtig wandte er sich zu ihr um, und sanft berührte er Eddas Haar mit den Fingerspitzen. Da erstarrte seine Bewegung, denn Edda wich zurück. Sie fuhr sich durch die Haare wie ein Mädchen, das sich und andere von etwas ablenken will, was sie beschäftigt – als wolle sie eine Berührung fortwischen, dachte Simon. Alles Leichte, alles Unvoreingenommene zwischen ihnen war wieder fort. Er spürte, wie er traurig wurde.
„Wir sind jetzt selbst verantwortlich für alles, was wir tun“, sagte sie. „Wir sind ... erwachsen. Alles, was wir können, wird auf die Probe gestellt werden. Alles, was wir gelernt haben, wirft einen Schatten.“
„Was meinst du damit?“, fragte Simon verwundert. Ihre Worte klangen düster und unangenehm. Beide hatten sie erlebt, dass Gedanken Realität erzeugen können, und sie brauchten jetzt jeden guten Gedanken, jede positive Energie, die sie beide aufbringen konnten.
Im Dämmerlicht starrten sie sich an.
„Es wird nie wieder werden, wie es vorher war“, sagte Edda, wissend, wie verletzend es für Simon klingen musste. Aber ihr war klar, dass alles andere als deutliche Worte ihm nur weiter die falsche Hoffnung machen würde, er könne mit ihr zusammenkommen.
„Du hast dich verliebt“, sagte Simon.
Edda errötete leicht. Das allein tat Simon mehr weh als alles, was er unten im Wasser erlebt hatte.
„Okay“, sagte er tapfer. „Okay.“
„Echt?“
„Klar.“
„Gut ... gut“, sagte Edda erleichtert. Aber diese Erleichterung war nicht echt. Edda wollte, dass es so war. Und es gab andere Aufgaben. „Sie warten auf uns. Wir müssen die Brain-Cloud bilden. Für Schifters Plan. Wir haben nicht mehr viel
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