ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)
tief Luft.
„Ich lass es lieber langsam angehen ...“ Plötzlich klang seine Stimme flach und gepresst. Scheiße, dachte er, warum waren sie nicht ehrlich miteinander? Warum konnten sie nicht ausdrücken, was wirklich zwischen ihnen war? Wussten sie es überhaupt? Wussten sie denn nicht längst, was der andere dachte und fühlte? Warum dann überlegen und erwachsen wirken? Warum war es immer noch so schwierig, über die wahren Gefühle zu sprechen?
„Sudden scheint nett zu sein.“
„Und smart. Hat mir gefehlt.“
Für einen Augenblick starrten sie sich an, doch konnte keiner auf dem Gesicht des anderen mehr lesen als der andere. Die Verbindung war nicht erloschen. Aber sie war stumpf geworden, geprägt durch Vorsicht und durch Angst, aber nicht mehr vor einer Gefahr von außen, sondern durch Angst vor Verletzung durch den anderen, den besten Freund und jemanden, der einen ohne Worte verstehen konnte und mit dem zusammen man mal eine einmalige Chance gehabt hatte. Trotzdem war Simon froh, die Eifersucht überwunden zu haben. Alles andere würde sich finden.
„Okay dann.“
„Okay. Sehen wir uns bei dem Fest?“
„Klar.“
Beide lächelten. Er wandte sich ab.
„Simon?“
Er drehte sich noch mal um. „Was ist?“
„Ich find’s super, was du da machst. Das Ding mit dem Kabel. Gopal ... er hält viel von dir. Er ist nicht ...“
„Klar“, unterbrach Simon sie lächelnd. „Interessiert mich aber nicht so.“
Dann ging er in Richtung der Anlegestelle, wo das Boot wartete, das ihn mit Sudden und den anderen zurück auf die P3 fahren würde.
Edda blickte ihm hinterher.
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Die Härchen in seiner Nase ziepten. Sie froren aneinander fest, jedes Mal, wenn Olsen die bitterkalte Luft einatmete. In den letzten Stunden war die Temperatur rapide gefallen und der Schnee hatte sich in den Süden Deutschlands verzogen, als wäre es selbst ihm in Berlin zu kalt geworden.
Olsen war das nur recht. Der Wachmann mit seinem Hund beeilte sich redlich, seine Runde zu beenden, und Olsen gelangte ohne Probleme auf das Dach der Lagerhalle. Durch den Schnee und die gewölbten Oberlichter darunter schimmerte Licht aus dem kleinen Büro in der Halle. Olsen wischte den Schnee weg und konnte erkennen, dass er es in dieser Nacht immer noch mit drei Wächtern zu tun haben würde. Ihr Anführer war nicht unter ihnen. Sie vertrieben sich die Zeit mit Kartenspiel und Rauchen. Spätestens in diesem Moment wusste Olsen, dass seine Mission gegen jede militärische Vernunft verstieß. Aber die Abwägung von Nutzen und Risiko musste er komplett außer Acht lassen, wenn er Linus helfen wollte. Und das wollte er. Das musste er.
Olsen schlich über das schneeweiße Dach und schaute durch jedes der Oberlichter, bis er den Teil in der Halle ausfindig gemacht hatte, in dem die gene-sys- Computer gelagert wurden. Er war weit genug von dem Büro entfernt. Nachdem er sich noch einmal vergewissert hatte, dass das Oberlicht nicht durch Alarm gesichert war, machte er sich mit einem Akku-Schrauber daran, die Muttern zu lösen, mit denen die Haube aus Plastik befestigt war. Dabei nutzte er das Vorüberrauschen der Züge auf dem nahen Gleis, sodass niemandem das Surren des Werkzeugs auffallen konnte.
Olsen hatte sich seit seinem ersten Auskundschaften der Lagerhalle einen Plan zurechtgelegt, den er ohne die Hilfe des Kriegers in ihm erstellt hatte. Ein cleverer Plan; ohne Blutvergießen.
Beinah hätte er funktioniert.
Wie Sternschnuppen vom Nachthimmel fielen glitzernde Eiskristalle in die Tiefe der Lagerhalle, als Olsen sich durch das geöffnete Oberlicht abseilte. Lautlos glitt er an dem dünnen Stahlseil in das Dunkel. Er hörte die Männer in dem Büro lachen und registrierte, dass ihn das beruhigte. „Lachen sorgt für Entspannung, Entspannung führt zu mangelnder Wachsamkeit“, klang es als Erkenntnis aus seinem Unterbewusstsein.
Am Boden angekommen, löste Olsen die Karabiner seines Brust- und Hüftgurtes. Er spannte das Seil, indem er es in den im Boden eingelassenen Laufschienen für die beweglichen Regale arretierte. Dann hakte er eine Fußplatte und weiter oben Handschlaufen ein, mit deren Hilfe er später das Seil wieder nach oben erklimmen wollte. Ein genialer Mechanismus, den er für seine Einsätze immer wieder trainiert hatte und der ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Die Platte und die Schlaufen ließen den Kletterer am Seil nicht zurückrutschen, sondern hielten ihn in der Position, in die er sich hochgezogen
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