Abbau Ost
drastisch
und in dem Maße, wie die Treuhandanstalt ihre Arbeitsfähigkeit herstellte und das Privatisierungsgeschäft an Fahrt gewann.
Ausgerechnet jene Bevölkerungsgruppe, die sich durch die Auflösung der DDR und den Beitritt fünf neuer Bundesländer die größten
Chancen ausrechnete, hatte im Hinblick auf die zunehmend misslicher werdende Arbeitsmarktlage bereits ein kritisches Alter
erreicht. Für eine grundlegende Neuorientierung galten sie oftmals als zu alt, was aber keineswegs ihren Fähigkeiten, ihrer
Lernbereitschaft und ihrem Lebensgefühl entsprach. Doch bei den vielen Arbeitsuchenden fanden sich für die wenigen freien
Stellen genügend jüngere Bewerber.
Dieses Akzeptanzproblem der älteren Jahrgänge hat sich im Laufe der Jahre noch verschärft, sodass sich die Betroffenen mit
nicht gewünschten und nicht ihrer Qualifizierung entsprechenden Arbeitsverhältnissen über Wasser halten müssen. Extreme Brüche
in den Erwerbsbiografien sind in diesen Jahrgängen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Weit über die Hälfte der zum |195| Wendezeitpunkt 36- bis 50-Jährigen hat Erfahrungen mit längeren Phasen der Arbeitslosigkeit, im Schnitt über einen Zeitraum
von zwei bis drei Jahren. Keine andere Generation bekommt die Folgen einer ökonomisch gescheiterten Wiedervereinigung so hautnah
zu spüren wie jene Geburtenjahrgänge, die den Anschluss der DDR an die Bundesrepublik durch ihre Zivilcourage und ihr Wahlverhalten
maßgeblich herbeigeführt haben. »Von den Bürgern der untersuchten Altersgruppe«, hieß es im ›Sozialreport 50+‹, »befinden
sich rund 41 Prozent noch in einem Erwerbsverhältnis, 27 Prozent sind arbeitslos bzw. in einer zeitweiligen arbeitsmarktpolitischen
Maßnahme, 31 Prozent sind bereits berentet.« Befragt, wie sich die Erwartungen mit dem Mauerfall erfüllt hätten, antwortete
ein knappes Drittel, dass sich ihre Erwartungen erfüllt oder mehr als erfüllt hätten. Für mehr als zwei Drittel der ehemaligen
DDR-Bürger haben sich die Erwartungen an den Mauerfall nicht erfüllt. Für sie lag die finale berufliche Strategie in einem
möglichst nahtlosen Übergang in den Vorruhestand. Im ersten Nachwendejahrzehnt gewährte die damalige Bundesanstalt für Angestellte,
heute die Deutsche Rentenversicherung, großzügige Vorruhestandsregelungen. Eine Reihe arbeitsmarktpolitischer Instrumente
orientierte sich an der, wie es offiziell hieß, Entlastung des Arbeitsmarktes durch einen vorzeitigen Renteneintritt. Nicht
einmal jeder zehnte ehemalige DDR-Bürger, der 2004 in den Ruhestand ging, hatte bis zum 65. Lebensjahr gearbeitet. In Westdeutschland
waren es immerhin 38 Prozent. »Der vorgezogene Renteneintritt bleibt für viele Ältere die einzige Chance ihrer materiellen
Existenzsicherung.«
Dieser kostspieligen und volkswirtschaftlich fragwürdigen Abschiebung leistungsbereiter Menschen in den frühen Ruhestand wurde
inzwischen ein Riegel vorgeschoben. »Im Zuge der drastischen Veränderungen der allgemeinen Rahmenbedingungen für den Eintritt
in den Ruhestand muss eine große Gruppe der 50- bis unter 65-Jährigen sich damit auseinandersetzen, dass ihre ursprüngliche
Lebensplanung nicht mehr realisierbar ist.« Die Mehrzahl der älteren Arbeitnehmer würde heute bei einem frühen |196| Renteneintritt Altersarmut riskieren. Jeder Monat, den der Arbeitnehmer früher in Rente geht, vermindert sein Ruhestandseinkommen
um 0,3 Prozent. Wer sich schon im Alter von 60 Jahren zur Ruhe setzt, muss ein Minus von 18 Prozent verkraften, und das können
sich die wenigsten ostdeutschen Arbeitnehmerhaushalte leisten. Die Mehrzahl verfügt weder über Wohneigentum, noch über eine
private Altersvorsorge oder über nennenswerte Sparanlagen und ist im Alter allein auf die staatliche Rente angewiesen. Lediglich
ein Fünftel der hier betrachteten Jahrgänge kann mit einer Betriebsrente oder einer privaten Altersvorsorge rechnen. Nach
der Befragung des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums haben 12 Prozent Ansprüche auf eine Betriebsrente, 1 Prozent
auf eine Riester-Rente, 5 Prozent auf eine private Altersrente und 3 Prozent auf zwei dieser zusätzlichen Einkommensquellen.
Alle anderen konnten angesichts der wirtschaftlichen Notlage im Beitrittsgebiet nicht angemessen für das Alter vorsorgen.
»Die durchschnittlichen Nettoeinkommen von 50- bis unter 65-Jährigen aus den neuen Bundesländern«, hieß es dazu im ›Sozialreport
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