Abbey Road Murder Song
Ästen. Er nahm sich einige Sekunden Zeit, um einen auszusuchen, neben dem ein bisschen mehr Raum war, und griff vorsichtig danach. Das Holz fühlte sich hart und kalt an. Er zog sich hinauf und fand mit dem rechten Fuß Halt in einer Astkuhle. »Bist du sicher, dass deine Katze überhaupt noch hier oben ist?«
»Ja. Ist sie.«
Wieder blickte er nach oben. Er verließ die sichere Leiter nun vollständig, zwängte den linken Fuß neben den rechten in die Kuhle. Jetzt stand er direkt in der dicht gewachsenen Baumkrone.
Wieder hielt er inne, dachte über den nächsten Schritt nach. Unwillkürlich musste er lächeln. Seit Wochen hatte er nicht mehr gelächelt, jedenfalls kam es ihm so vor.
Die Baumrinde war zerfurcht, doch er kam nicht mit den Fingern in die Zwischenräume. Festhalten konnte er sich wirklich nur an den Ästen. Er entschied sich für einen direkt über seinem Kopf. Mit gewachsener Selbstsicherheit hielt er nach einem Ast Ausschau, auf den er seinen linken Fuß stellen konnte. Als er sich jedoch aufrichtete, rutschte er plötzlich mit dem rechten Fuß ab und krachte mit seinem gesamten Gewicht gegen den Stamm.
»Autsch«, sagte er leise, mehr zu sich selbst.
Er war unvorsichtig gewesen. Er würde stabileren Halt für seine Füße suchen müssen. Seine Ledersohlen waren viel zu glatt.
Er wartete, bis er wieder zu Atem gekommen war, dann blickte er erneut hinauf: »Ich kann sie nicht sehen.«
»Sie ist ganz oben.«
Breen platzierte den linken Fuß auf demselben Ast, suchte aber festeren Halt. Diesmal gelang es ihm, sich mit den Armen höher in die dicht belaubten Äste zu ziehen. Er stand völlig verdreht da, sein Oberkörper zeigte in die eine Richtung, die Füße in die andere, aber er warzufrieden, überhaupt so weit gekommen zu sein, hoch oben über den vorüberfahrenden Autos. Als Kind musste er doch auch auf Bäume geklettert sein. Aber wann? Er konnte sich nicht erinnern.
»Was macht er denn da oben?« Eine Stimme von unten.
»Er rettet meine Katze.«
Er befand sich höchstens fünf Meter über dem Boden, aber es kam ihm höher vor. Ein älterer Mann zerrte einen Hund vom Schild an der Bushaltestelle weg, ein einbeiniger Kriegsversehrter kam auf Krücken vorbeigehumpelt. Hätte das Mädchen nicht unten an der Leiter gestanden, niemand hätte mitbekommen, dass er überhaupt hier oben war. Durch die Blätter sah er auf die Grove End Road hinunter. Und auf das Haus an der Ecke. In der Wohnung im ersten Stock stand eine Frau im blauen Kleid am Herd und rührte in einem Topf. Die Küche wirkte warm und gemütlich. Vielleicht war es Hühnersuppe oder Stew mit Knödeln. Fast konnte er es riechen. Kochte sie für ihren Mann oder für sich allein? Er blickte wieder nach oben. Die Äste hoben sich gegen den Himmel noch schwärzer ab.
»Wie heißt sie denn?«
»Wer?«
»Deine Katze natürlich.«
»Ist ein Kater. Loopy.«
»Loopy?«
»Ja.«
Da stand er jetzt also auf halber Höhe eines Baums und rief einen Kater namens Loopy. Er klammerte sich an den Stamm wie ein Matrose im Sturm an den Mast. Als er erneut durch die dunklen Äste spähte, glaubte er, einen kleinen schwarzen Umriss zu sehen. Zwischen den Blättern ließ sich kaum etwas erkennen, aber da war es, ein kleines schwarzes Kätzchen, das die Krallen in dieschartige Borke grub und Breen über die Schulter hinweg von oben herab ansah.
Eigentlich fand Breen, dass es dem Kater dort gut zu gehen schien. Wenn überhaupt, dann hatte er eher etwas Verächtliches im Blick. Er sah wieder zu dem Mädchen hinunter. Schmutzig, dünn, aber voller Hoffnung.
»Loopy. Loopy. Komm her, Loopy.«
Der Kater rührte sich nicht. Er starrte Breen völlig unbeeindruckt an. Breen musste höher rauf.
sechs
Während er darauf wartete, geröntgt zu werden, fiel ihm ein, dass das tote Mädchen sich in demselben Krankenhaus befand. Vermutlich irgendwo unten im Keller. Reglos, nackt, blau und kalt, die Lippen dunkel, die Brüste platt, lag sie auf dem Rücken in der Dunkelheit. Wellingtons Schnitte würden mit groben blutfreien Stichen vernäht worden sein, ein bisschen wie Stacheldraht sah das aus. In einer Lade wartete sie darauf, dass Breen etwas herausfand.
Er schloss die Augen.
»Alles in Ordnung?«, fragte die Schwester aufmunternd. Er saß in einem Zimmer im Erdgeschoss auf dem Bett, der Arm ruhte in seinem Schoß. »Sie wirken ein bisschen erschöpft.«
»Schlüsselbein. Hier. Tut höllisch weh.« Ein Arzt, ein junger Mann mit einer Pfeife in der
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