Abbild des Todes
Motoröl roch. Der hintere Teil des Raumes war durch ein Eisengitter abgetrennt. Auf mehreren Regalen waren die zu verkaufenden Stücke ausgestellt – ein Saxophon, Heimwerkergeräte, silberne Kerzenhalter, eine Espressomaschine. Zoe konnte weder Schmuck noch Waffen entdecken. Damit machten die Pfandleiher ihr großes Geschäft – daher wurden sie meist in einem separaten Safe verschlossen.
Ein muskulöser Mann in einem Sweatshirt mit aufgerollten Ärmeln saß an einem Tisch hinter den Gitterstäben. Beim Klang der Türglocke blickte er auf. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts.
“Kann ich Ihnen helfen?”, fragte er, als Zoe näher trat.
“Ich bin Zoe Foster.”
Seine Miene wurde freundlicher, und er stand auf. “Zoe Foster, ich glaub’s nicht, Sie sind tatsächlich gekommen.”
“Sie scheinen überrascht zu sein?”
“Ich dachte, dass Sie die Bullen schicken. In meinem Job bin ich froh, wenn ich die Jungs nicht allzu oft zu sehen bekomme.” Er warf ihr einen bewundernden Blick zu. “Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie aussehen wie Kitty Floyd?”
Er nun also auch. Es musste daran liegen, dass sie ihre Haare offen trug. “Kennen Sie meine Comics?”
“Meine Frau kennt sie. Sie ist die Leserin in der Familie. Sie war es auch, die den Anhänger in der Zeitung entdeckte und sofort wiedererkannt hat.”
“Darf ich fragen, woher Sie ihn haben?”
“Ein Obdachloser kam vor ein paar Tagen herein und wollte ihn verkaufen. Ich hab ihm dafür zwanzig Dollar gegeben und meiner Frau den Anhänger zum Geburtstag geschenkt.”
“Erzählen Sie mir von dem Mann, der Ihnen den Anhänger verkauft hat. Haben Sie ihn vorher schon einmal gesehen? Konnte er sich ausweisen? Haben Sie …”
Rudy hob abwehrend eine Hand. “Hey, Lady, immer schön langsam. Zuerst einmal: In meinem Geschäft fragt man nicht nach dem Personalausweis. Sie bringen was rein, ich guck’s mir an, und wenn es etwas ist, das ich verkaufen kann, mache ich Ihnen einen fairen Preis. Und: Es werden keine Fragen gestellt.”
Zoe spürte, wie ihr Fünkchen Hoffnung langsam erlosch. “Also wissen Sie nicht, woher der Anhänger stammt.”
“Nö.”
“Und der Mann?”
Er schüttelte den Kopf. “Sorry.”
“Führen Sie eine Liste über die Dinge, die Sie kaufen und verkaufen?”
“Nicht, wenn ich eines der Stücke für mich behalten will. Warum ist es so wichtig? Wurde er gestohlen oder so?”
Es führte kein Weg daran vorbei – wenn sie wollte, dass er ihr den Anhänger überließ, musste sie ihm die Wahrheit sagen. “Ich weiß nicht, ob er gestohlen wurde, aber er könnte ein Beweisstück sein.”
“Beweis für was?”
“Die Frau, der der Anhänger gehörte, wurde … ist verschwunden. Der Anhänger – wenn es denn ihrer ist – könnte die Ermittler zu ihrem Entführer führen.”
Rudy fuhr sich missmutig durchs Haar. “Die Ermittler. Heißt das, dass ich mit den Bullen sprechen muss?”
“Sehr wahrscheinlich. Es besteht außerdem die Möglichkeit, dass Sie den Anhänger eine ganze Weile lang nicht zurückbekommen.”
“Ich und meine große Klappe …”
Zoe nickte verständnisvoll. “Könnten Sie ihn morgen mit in den Laden bringen?” Sie würde Annie bitten mitzukommen, denn sie würde wissen, ob es wirklich Lolas Anhänger war.
Der Pfandleiher stieß einen Seufzer aus. “Meine Frau wird mich umbringen.”
Zufrieden machte Zoe sich auf den Rückweg nach SoHo. Einen Anhänger zu entdecken, von dem jeder im
Blue Moon
schwor, dass Lola ihn niemals von ihrem Armband abgemacht hätte, würde die Polizei vielleicht endlich dazu bringen, Lolas Verschwinden intensiver zu untersuchen.
Zoe überquerte gerade den Broadway, als sie einen Schuss hörte. Für einen Moment stand sie wie erstarrt auf der Straße. Unsicher schaute Zoe sich um, nicht sicher, ob das Geräusch, ein nachhallendes Plop, tatsächlich von einem Schuss kam. Es könnte auch eine Fehlzündung bei einem …
Ein zweiter Schuss ließ ein halbes Dutzend Passanten schreiend Schutz suchen. Eine Frau warf sich flach auf den Boden und begann zu weinen, während eine andere, so schnell sie konnte, in das nahe gelegene Elektronikgeschäft rannte. Als würde sie aus einer Trance erwachen, atmete Zoe durch und folgte der Frau.
“Das ist ein Heckenschütze!”, rief ein Mann in dem Laden und zeigte auf das Dach des gegenüberliegenden Gebäudes. “Seht doch nur, er läuft davon.”
“Hat schon jemand die Polizei gerufen?”, fragte ein anderer
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