Abby Cooper 03 - Hilferuf aus dem Jenseits
ist in die Schweiz geflohen«, sagte Dutch, und ich war dankbar, dass er sich in Geografie besser auskannte als ich.
»Ja, was damals angesichts der eisernen Faust des Reiches viele freigeistige Gelehrte taten. Es war kennzeichnend für die damalige Zeit, dass viele Männer von Adel Posten an der Universität annahmen, wenn sie keine aktive Rolle in der Politik spielen wollten. Offenbar folgte Helmut diesem Beispiel bis 1941, dann verschwanden er und seine Familie spurlos.«
»Wie viele Familienmitglieder hat es da noch gegeben?«, fragte ich.
»Nach allem, was ich gefunden habe, waren es vier: Helmut, seine Frau Frieda, ihr Sohn Peter und die Tochter Elisa.«
Mir stellten sich die Nackenhaare auf. »Elisa?«
»Ja.«
»Das ist sie, stimmt’s, Abby?«, fragte Dutch und sah mich aufmerksam an. »Das ist unsere Lisa.«
Meine rechte Seite wurde sofort leicht. Ich nickte bedauernd.
»Eure Lisa ist die Frau, die ermordet wurde?«, fragte T. J.
Ich nickte. »Was kann mit ihnen passiert sein?«
»Das würde ich auch gern wissen«, sagte T. J. »Durch den Krieg ist die Quellenlage eine Katastrophe. Die Deutschen führten akribisch Buch über Dinge, die sie dokumentiert haben wollten, und vernichteten ebenso akribisch unerwünschte Unterlagen, und obwohl sie in die Schweiz nicht einmarschiert sind, gab es viele heimliche Absprachen zwischen beiden Ländern. Die Schweizer waren in einer ziemlich heiklen Lage, und wenn sie nicht mit Deutschland kooperiert hätten, wäre es ihnen gegangen wie Polen oder Ungarn. Wenn Helmut so unverblümt war wie manche seiner Veröffentlichungen vor 1939/40, stellte er für die Nazis eine große Bedrohung dar. Und die hatten damals die Mittel, um Leute verschwinden zu lassen.«
»Du meinst, die Schweiz hat die Familie ausgeliefert?«
»Denkbar ist es«, sagte er. »Es ist sogar wahrscheinlich. Ich bin die Sache aber noch von einer anderen Seite angegangen.«
»Welcher?«, fragte ich.
»Von Friedas Linie her. Sie war auch adlig, eine von Stießen. Wenn ich da noch einen lebenden Nachfahren finde, könnte ich mit ihm Verbindung aufnehmen. Da ließe sich vielleicht erfragen, was aus den Halpstadts geworden ist.«
Dutch blickte mich an, und seinem Gesicht nach schien ihm irgendetwas zu fehlen. »Wie steht das alles mit Jean-Paul in Zusammenhang?«
»Mit wem?«, fragte T. J.
»Jean-Paul Carlier. Ein Franzose, der in Lyon ein Café besaß und während des Krieges im Widerstand aktiv war.«
T. J. blickte Dutch aufmerksam an. »In Lyon, sagst du?«
»Ja.«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, tadelte T. J.
»Wieso? Ist das wichtig?«, fragte ich.
»Ja, natürlich, denn wenn Helmut fürchtete, von den Schweizern an die Nazis ausgeliefert zu werden, wird er sich entschlossen haben, nach Lyon zu gehen. Das war riskant, aber höchstwahrscheinlich hat er es versucht. Eine Hauptstrecke der Eisenbahn verlief von Lausanne nach Lyon. Die Familie wird also nach Lyon gefahren sein und die Identität gewechselt haben, um von den Nazis nicht entdeckt zu werden.«
»Aber ich dachte, Frankreich ist 1940 an Deutschland gefallen.« Ich kramte zusammen, was ich aus dem Schulunterricht noch wusste.
»Das stimmt«, sagte T. J. nickend. »Die Deutschen sind im Frühjahr 1940 in Frankreich einmarschiert und haben das Land geteilt. Es gab die besetzte Zone im Norden und die freie Zone im Süden. Der Süden wurde von Vichy aus regiert, einem kleinen Kurort in der Mitte des Landes, aber die wichtigste Stadt war Lyon - in wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Vor dem Krieg hatte sie fünfhunderttausend Einwohner. Aber in den paar Jahren bevor und nachdem Frankreich Deutschland den Krieg erklärt hatte, gab es einen massenhaften Zustrom von Flüchtlingen: Juden, Spanier, die für die Republik gekämpft hatten, Belgier und natürlich viele, die sich in den Anfangsjahren des Dritten Reiches bei den Machthabern unbeliebt gemacht hatten.«
»Wer also nach Lyon durchkam, hatte es geschafft?«, fragte ich.
»Nicht unbedingt«, widersprach T. J. »Lyon wurde zwar ein gewisses Maß an Freiheit gewährt, aber die sogenannte freie französische Regierung war lediglich eine Marionette der Gestapo, die alles streng kontrollierte. Lyon hatte Bürger mit Einfluss und Geld, und die Gestapo saugte sie aus.«
»Das muss es sein«, sagte ich zu Dutch. »So muss Lisa mit Jean-Paul in Kontakt gekommen sein.«
»Aber wo ist die fehlende Verbindung?«, fragte er mich. »Warum taucht sie
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