Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
hatte. Doch ihre Hoffnung zerrann schon im nächsten Moment.
»Corporal! … Bringen Sie mir das Mädchen da! Das fünfte von Ihnen aus!«, befahl er dem Soldaten, der neben der Pforte stand.
Dienstbeflissen beeilte sich der Corporal, den Befehl des Captain auszuführen. Er packte Abby grob am Arm und zog sie aus der Schlange in den Schatten neben dem Treppenaufgang zum Achterdeck. »Der Sträfling, Sir!«, sagte der Soldat nur, stand kurz stramm und entfernte sich auf die Handbewegung von Captain Trenton rasch wieder.
Abby stand wie ein Häuflein Elend vor dem Offizier.
»Wie heißt du?«
»Abby«, flüsterte sie. »Abby Lynn.«
»Abby Lynn, Sir!«, korrigierte sie der Captain.
Sie schluckte. »Abby Lynn, Sir.«
»Schon besser. Und nun heb den Kopf. Außer Haaren sehe ich ja nichts von dir.«
Abby zögerte, wusste jedoch, dass es sinnlos war, der Aufforderung nicht nachkommen zu wollen, und hob den Kopf, mit niedergeschlagenen Augen, jedoch mit etwas geöffnetem Mund, damit ihre scheinbar schwarzen, verrotteten Zähne nicht unbemerkt blieben.
Doch diese Sorge hätte sich Abby nicht zu machen brauchen.
Captain Trentons Aufmerksamkeit entging nichts. Ganz im Gegenteil. Wie sich herausstellte, war er ein viel zu scharfer Beobachter.
»Du siehst aus, als hätte man dich durch ein Teerfass gezogen, nachdem du drei Wochen in der Bilge verbracht hast«, sagte er spöttisch.
Abby schwieg. Was hätte sie auch sagen können?
»Streich dir mal die Haare aus dem Gesicht!«, forderte er sie auf.
Sie gehorchte.
»Und jetzt mach den Mund auf.«
»Warum – Sir?«
»Weil es zu meinen Aufgaben gehört, mich von der Gesundheit der Sträflinge zu überzeugen. Und nun tu, was ich dir gesagt habe! Ich will deine Zähne sehen!«
Abby kam sich entsetzlich erniedrigt vor, als der Offizier sich nun ihre geschwärzten Zähne ansah und dann kurz mit dem Zeigefinger ein wenig Korkenruß abwischte.
»So, so, Korkenruß. Gar nicht mal so dumm«, sagte er mit einem spöttischen Lächeln, als hätte er soeben eine Vermutung bestätigt gefunden. »Eine merkwürdige Art von Zahnpflege, oder hat der Ruß vielleicht eine andere Bewandtnis?«
»Ich … ich … weiß nicht, was Sie meinen, Sir«, stellte sich Abby dumm, wusste jedoch, dass der Offizier sie längst durchschaut hatte.
»Wie könntest du auch«, erwiderte Captain Trenton, dem die Sache großen Spaß zu bereiten schien. »Ich denke, Wasser, Seife und ein neues Kleid werden bei dir wahre Wunder wirken, Abby.«
»Darf ich jetzt zurücktreten?«, bat Abby inständig.
»Nein!«, sagte Captain Trenton scharf, um seiner Stimme im nächsten Moment einen freundlichen, fast einschmeichelnden Klang zu geben: »Ich suche ein Mädchen für mein Haus, und mir scheint, dass du für diese Stelle bestens geeignet sein könntest.«
»Das ehrt mich sehr, Sir«, zwang sich Abby zu antworten.
»Doch ich glaube nicht, dass Sie mit mir zufrieden sein würden, Sir.«
»Da bin ich anderer Meinung.«
»Ich verstehe von den Arbeiten eines Hausmädchens nichts, Sir!«, beteuerte Abby.
»Das wirst du schnell lernen. Es sind wirklich leichte Arbeiten. Und wenn du meinen … Wünschen ein wenig entgegenkommst, wird es dein Schaden sicherlich nicht sein. Ich brauche dir ja nicht zu sagen, dass ich in meiner Position Möglichkeiten habe, dir das Leben in der Kolonie nicht nur erträglich, sondern geradezu angenehm zu machen«, sagte er mit gedämpfter Stimme.
»Ich danke Ihnen sehr für Ihr großzügiges Angebot, aber ich kann wirklich nicht, Sir!«, blieb Abby fest. »Ich bin für diese … Aufgabe bestimmt die falsche Person.«
Er kniff die Augen zusammen. »Verdammt noch mal, du kapierst offenbar immer noch nicht, was ich dir da anbiete! Weißt du überhaupt, was es heißt, bei dieser Hitze irgendwo auf Feldern schuften zu müssen, bis dir die Knochen im Leib schmerzen? Die verdammte Sonne wird dir die Haut verbrennen, und die Mücken werden ein übriges tun, um dir das Leben zu vergällen. Bei mir dagegen wirst du dich nicht plagen müssen. Also überleg es dir gut!«
»Arbeit auf den Feldern scheue ich nicht, Sir.«
»Hör zu«, zischte er. »Ich brauch dich eigentlich überhaupt nicht zu fragen. Wenn ich dich in meinem Haus haben möchte, dann gebe ich einfach den Befehl dazu, hast du mich verstanden? Doch wenn du von dir aus …«
»Entschuldigen Sie, Captain«, unterbrach ihn in diesem Moment Jonathan Chandler. Als der Kutter von der Kent abgelegt hatte, war er mit seinen Kindern
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