Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
Fliegen sterben sollen«, meinte Melvin.
»Das hat er sich selbst zuzuschreiben«, erwiderte Andrew.
»Er wusste ganz genau, was ihm blüht, wenn er so etwas tut. Außerdem ist es nicht das erste Mal, dass Sean Oxley Ärger macht. Er ist ein Unruhestifter gewesen, von Anfang an. Soll doch das Gericht entscheiden, welche Strafe er erhält.«
»Ja, unter normalen Umständen würde ich auch gar nicht lange zögern, aber vergesst nicht, dass wir für ihn keinen Ersatz kriegen werden«, gab sein Vater zu bedenken. »Und ihr wisst genau, dass wir jedes Paar Hände auf Yulara brauchen!«
»Und was willst du dann tun, Vater?«, wollte Melvin wissen.
»Ich werde ihm die Wahl lassen, ob er sich vor einem Gericht in Parramatta oder Sydney für seine Tat verantworten will – oder ob er die Strafe akzeptiert, die ich hier auf Yulara über ihn verhänge, nämlich fünf Dutzend Peitschenhiebe!«, erklärte Jonathan Chandler hart. »Er wird dann zwar einige Zeit für uns ausfallen, bis seine Wunden einigermaßen verheilt sind, doch die Woche können wir verschmerzen.«
»Ich hoffe nur, du machst damit keinen Fehler, Vater«, sagte Andrew skeptisch, der Sean Oxley lieber von der Farm gewusst hätte.
Sean Oxley brauchte nicht lange, um sich zu entscheiden. Er gab der verhältnismäßig milden Strafe von sechzig Peitschenhieben den Vorzug, denn die würde er mit einiger Gewissheit überleben.
Jonathan Chandler führte die Bestrafung eigenhändig aus, so sehr er es auch verabscheute, einem Mann den Rücken mit der Neunschwänzigen blutig zu schlagen. Doch er wusste, dass ihm allzu große Nachsicht als Schwäche ausgelegt würde.
Alle Sträflinge auf Yulara mussten sich die Auspeitschung bis zum buchstäblich blutigen Ende mitansehen, auch Abby und Rosanna.
»Lasst euch das eine Warnung sein!«, rief Jonathan Chandler, als er die sechzig Hiebe verabreicht hatte, und sein Gesicht war grau wie Blei. »Der Nächste, der meint, die Gesetze so missachten zu können, wie Sean Oxley es getan hat, wird nicht so glimpflich davonkommen, sondern sich vor einem Gericht zu verantworten haben. Und was das bedeutet, brauche ich ja wohl keinem zu erklären! … So, und jetzt schafft ihn mir aus den Augen!«
Nat und Aron schleppten ihren blutüberströmten, bewusstlosen Landsmann in seine Hütte, um seine Wunden auszuwaschen und zu verbinden, während Abby bleich davonwankte und sich im Schutz eines Gebüsches übergab, bis nur noch bittere Galle hochkam.
Sean Oxley erholte sich erstaunlich schnell von der Auspeitschung, und er tat bald wieder seine Arbeit, wie sie von ihm verlangt wurde. Doch jedes Mal, wenn er einen Chandler erblickte, flammte mörderischer Hass in seinen Augen auf.
Sechzehntes Kapitel
Es war Jonathan Chandlers Vorschlag, dass Abby zusammen mit Sarah das Reiten lernen sollte. »Meine Tochter wird jetzt bald sieben und damit alt genug, um den Umgang mit Pferden zu lernen«, sagte er eines Tages. »Ich möchte, dass sie so sicher im Sattel sitzt wie jeder andere Chandler. Ihre Mutter war auch eine hervorragende Reiterin, und es wird ihr gut tun, gelegentlich auszureiten. Nur so kann man die Weite des Landes kennen und schätzen lernen.«
Als Andrew davon hörte, reagierte er ganz anders, als Abby erwartet hatte. Er begrüßte den Vorschlag seines Vaters, wenn er es sich auch nicht nehmen ließ, eine spöttische Bemerkung zu machen. »Jemandem, der sich mit Büchern auskennt und aus einer guten Familie stammt, dürfte das Reiten gut zu Gesicht stehen.« Es lag aber keine Boshaftigkeit oder Schärfe in seinen Worten. Seit jenem feuchtkalten Tag, als sie den Graben ausgehoben hatten, hatte sich Andrews Verhalten ihr gegenüber entscheidend geändert. Wenn er auch nicht gerade von Herzlichkeit überströmte, so behandelte er sie doch mit einer Art Respekt, die ihr gut tat. Es gab sogar Momente, wo er ausgesprochen freundlich zu ihr war und das Gespräch mit ihr zu suchen schien. Doch er zog sich stets schnell wieder zurück, als hätte er Angst, zu vertraut mit ihr zu werden.
Melvin, der sich bereit erklärt hatte, ihr und Sarah das Reiten beizubringen, hegte diese Angst offensichtlich nicht. Er behandelte sie fast so, als gäbe es zwischen ihnen keine gesellschaftlichen Schranken.
Abby verlor ihre anfängliche Angst schnell, denn Melvin war ein einfühlsamer und geduldiger Lehrer. Schon nach wenigen Stunden bereitete es ihr ausgesprochene Freude, hoch zu Pferd die nähere Umgebung von Yulara zu erkunden. Ihre
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