Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
das unduldsame Regiment ihres Captains gemeutert und ihn auf offener See mit neunzehn Getreuen in einem kleinen offenen Boot ausgesetzt hatte. Doch Captain William Bligh, der in jungen Jahren schon als Steuermann mit James Cook um die Welt gesegelt war, hatte das kleine Wunder vollbracht, mit dieser Nussschale über 4000 Seemeilen zurückzulegen und schließlich Batavia zu erreichen. Das hatte ihn zum Helden gemacht.
Doch Bligh war ein unbequemer Held. Er war ein Mann, der eiserne Disziplin und Gehorsam verlangte und keinen Widerspruch duldete. Er hatte den Befehl bekommen, das skandalöse Rum-Monopol der Offiziere zu brechen und das New South Wales Corps endlich zu dem zu machen, als was es gedacht gewesen war – nämlich als Schutztruppe der Kolonie, die einzig und allein den Befehlen und Anordnungen des Gouverneurs Geltung zu verschaffen hatte. Und diesen Befehl würde er ausführen, koste es, was es wolle.
Als Melvin davon erfuhr, war er erfreut und skeptisch zugleich. »Ob Bligh der richtige Mann für diese Aufgabe ist, wird sich zeigen. Sicher ist jedoch, dass Macarthur und seine Freunde ihre Macht nicht kampflos abgeben werden, dafür sind die Profite aus ihrem Rum-Monopol zu hoch. Es wird eine erbitterte Auseinandersetzung geben, neben der alle bisherigen Querelen zwischen Gouverneur und Offiziers-Clique wie völlig belanglose Kleinigkeiten aussehen werden«, sagte er ahnungsvoll und wusste nicht, wie Recht er damit haben sollte.
Mit William Blighs Ankunft in New South Wales war eine Zündschnur in Brand gesetzt worden, von der niemand wusste, ob sie irgendwo harmlos verglimmen oder aber ein Pulverfass zur Explosion bringen würde. Fest stand nur eines, dass sie brannte und immer grellere Funken sprühte.
Siebzehntes Kapitel
Es war an einem Tag im Hochsommer des nächsten Jahres, als Abbys Leben eine neue Wendung nahm. Die Felder auf Yulara boten dank des aufwendigen Bewässerungssystems einen prächtigen Anblick. Weizen und Mais standen hoch und dicht wie nie zuvor. Regte sich ein warmer Wind, dann wogten die Felder wie ein goldbraunes Meer bei sanfter Dünung. Die Ernte versprach noch besser auszufallen als in den beiden Jahren zuvor. Auch die Rinder- und Schafherden hatten sich kräftig vermehrt. Jonathan Chandler hatte schon früh erkannt, dass sich das Land ganz besonders für die genügsamen Schafe eignete, und in den letzten beiden Jahren so viele Tiere wie möglich dazugekauft. Jetzt weideten fast zweihundert Schafe auf Yulara, die auch geschoren werden mussten.
Wie so vieles andere hatte Abby in den zweieinhalb Jahren, die sie nun schon auf der Farm der Chandlers am Hawkesbury River lebte, auch das Scheren gelernt. Denn wenn sie mit Sarah täglich auch viele Stunden verbrachte, so bedeutete das doch nicht, dass sie von anderen Arbeiten freigestellt war. Sie plagte sich wie die anderen Sträflinge auf den Feldern unter glühender Sonne, besserte schadhafte Zäune aus, schleppte Eimer mit Wasser, melkte die Kühe, griff zum Spaten, wenn Regengüsse das System der Gräben beschädigt hatten, und führte all die Arbeiten aus, die im Wechsel der Jahreszeiten eben auf einer Farm anfallen.
So gesehen waren es nur wenige Stunden, die ihr am Tag für Sarah verblieben. Und sie freute sich immer darauf, mit ihr zusammen zu sein, ob sie nun malten, sich Geschichten erzählten oder ausritten. Letzteres war zu Abbys Bedauern leider nur noch selten der Fall. Seit Bligh Gouverneur geworden war, hielt sich Melvin nämlich häufig in Sydney auf und blieb manchmal mehrere Wochen dort. Mit seiner Abwesenheit fielen dann auch die Ausritte bis auf die wenigen Male aus, wo Jonathan Chandler sie begleitete. Denn Andrew hatte weder die Zeit noch das Interesse an solchen unproduktiven Vergnügungen, wie er die Ausritte spöttisch nannte, obwohl er selber ein leidenschaftlicher Reiter war. Doch seit Melvin die Führung der Farm mehr noch als früher ganz seinem Vater und seinem jüngeren Bruder überlassen hatte, kniete sich Andrew energischer denn je in die Arbeit, um Yulara trotz der Hochwasserkatastrophen und Buschbrände, die jeden Sommer drohten, zu dem zu machen, was ihre Farm in Devon einmal gewesen war – ein landwirtschaftliches Kleinod.
Abby hatte am Nachmittag beim Scheren geholfen. Andrew hatte neben ihr ein Schaf nach dem anderen gepackt, auf den Rücken geworfen und den dicken Wollpelz von der Haut geschoren. Eine Arbeit, die viel Geschick und Erfahrung erforderte, denn nur zu leicht konnte man
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