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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Karawanenstraße zog sich in mehreren Windungen zur Höhe und war zu beiden Seiten von Büschen eingesäumt. Nach der ersten Windung blieben wir hinter diesen Sträuchern stehen, um zurückzuschauen. Wirklich! Er hatte uns abgelauert! Er folgte uns! Der Berichterstatter, den ich gestern abend mit dem Effendi belauscht hatte!
    »Wer mag er sein?« fragte Halef.
    »Das werden wir von Achmed Agha erfahren, der ihn ja vorübergehen sieht,« antwortete ich.
    Hierauf gingen wir weiter, um den Spion nicht merken zu lassen, daß er von uns durchschaut worden sei. Es hat für hier kein Interesse, die Gebäude der türkischen Douane zu beschreiben; es genügt, zu sagen, daß der Kommandant schon munter war und uns von weitem kommen sah. Er trat heraus, um uns zu empfangen. Kaum war dies geschehen, so erschien auch der Spion. Ich hatte angenommen, daß er, sich gleichgültig stellend, vorübergehen werde; zu meiner Verwunderung aber tat er das nicht, sondern als er uns stehen sah, kam er direkt auf uns zu. Achmed Agha winkte nach ihm hin und sagte:
    »Da kommt Omar, mein Basch Tschausch (Feldwebel). Er ist ein tüchtiger Mann. Erlaubst du, daß er bei uns bleibe?«
    »Du bist der Herr; dein Wille geschieht. Er ist also auch Militär?«
    »Eigentlich nicht. Er stammt von hier. Ich rekrutiere meine Mannschaften nicht vom Militär, sondern aus der hiesigen Gegend; das ist vorteilhafter. Tretet ein! Möge es euch bei mir gefallen!«
    Er führte uns nicht in das Bureau, sondern in sein Privatkabinett, wo er wohnte, rauchte und schlief. Der Feldwebel stellte sich außerordentlich devot, glückselig, sich uns zugesellen zu können, und wir behandelten ihn so freundlich, als ob wir noch gar nichts wüßten. Sobald wir Platz genommen hatten, zögerte Achmed Agha nicht, uns mitzuteilen, welchen Grund seine Einladung hatte. Er hielt eine lange Rede über seine Liebe zu uns, über meine Geschicklichkeit, Pöntsch zu machen. Dieser Pöntsch sei der höchste aller irdischen Genüsse, und er hoffe, daß ich das was ich gestern für Abdahn Effendi getan habe, nun heut, auch für ihn tun werde. Er sei eine Seele von einem Menschen und werde mir also gewiß sehr dankbar sein. Er habe alles besorgt, Zitronen, Zwiebeln, Knoblauch. Arrak und Rum sei trotz der hohen Zölle immer da. Nur Aloe habe er nicht. Ob es nicht vielleicht einmal auch ohne diese gehe? Ich könne ja die Verse, die ich dabei zu singen habe, auf das Fehlen der Aloe einrichten. Es sei heut ein so schöner, sonniger Morgen; da müsse ein Krug Pöntsch oder zwei gedeihlich sein. Wenn der Pöntsch ohne Zeugen gemacht werden müsse, so solle ich ihn drüben in der Stube machen, wo der Basch Tschausch wohne; der sei jetzt bei uns, nicht drüben. Da gebe es einen Herd.
    Man kann sich denken, wie gerne ich auf die Wünsche Achmed Aghas einging. Welch eine vortreffliche Gelegenheit, nach dem »Beine« des Feldwebels zu suchen, in dem die Schuldbeweise versteckt sein sollten!
    Als ich mich bereit erklärt hatte, wurde ich hinüber geführt. Was ich brauchte, wurde beschafft, genau so viel wie gestern, obwohl heut weniger Personen waren. In Beziehung auf den fehlenden Aloe gab ich den Trost, daß der Pöntsch hierdurch zwar weniger glühend, aber umso wärmer werde. Achmed Agha machte in eigener Person Feuer; dann entfernte man sich. Ich war allein und schob den Riegel vor, damit mich niemand überraschen könne. Während der Zeit, die das Wasser brauchte, um ins Kochen zu kommen, forschte ich. Es verstand sich ganz von selbst, daß der Feldwebel nicht sein eigenes, sondern das Bein irgend eines Möbels gemeint hatte. Es war aber kein anderes Möbel mit Beinen zu sehen, als das sehr niedrige, orientalische Bettgestell, welches in der hinteren Ecke stand. Vielleicht war eines der vier Beine hohl! Ich hob das Gerät erst auf der einen, dann auf der anderen Seite empor, um nachzuschauen. Wirklich, wirklich! Von dem verstecktest stehenden der vier Beine war unten ein dünnes Scheibchen quer herüber abgesägt und dann mit kleinen, kurzen Holzstiften wieder angenagelt worden. Mit Hilfe meiner Messerklinge gelang es mir sehr leicht, diese Scheibe mitsamt den Stiften zu entfernen. Als dies geschehen war, sah ich, daß der Basch Tschausch das Bein etwas über fingerstark ausgebohrt hatte. In dem so entstandenen, röhrenartigen Loche steckten Papiere, die ich herauszog. Sie waren zusammengerollt; ich rollte sie auf und las. Es waren zwei Berichte, der eine in türkischer und der andere in persischer

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