Abdruecker (Splattergeschichten)
dass ich noch ein Meeting hätte oder dies und das, und dass wir vielleicht zu einer anderen Zeit sprechen sollten. Was auch neu für mich ist: Als Jeka in Berlin war, sprach sie jugendlichen Slang. Jetzt aber hat ihre Stimme etwas von Intellektualismus und einer besonderen Privilegiertenschicht, wie sie in Russland eigentlich ausgestorben sein müsste.
„ Ja, ich laufe sehr viel, und ich habe gehört, es ist gut für den Rücken“, meint sie und schaut sich nach der Bedienung um, die augenblicklich herbeihuscht.
„ Für mich einen Wodka“, sagt Jeka, „mit viel Eis.“
„ Du bist also eine Läuferin“, meine ich, als sie mich wieder anblickt.
Ihr Lächeln verlischt, und ich frage mich, woher der verdrossene Gesichtsausdruck wohl kommt, dem es Platz macht.
„ Ich bin nicht gekommen, um über Sportarten zu sprechen“, sagt sie dann.
„ Das kann ich gut verstehen“, meine ich im gebührenden Ernst. Ich merke, dass sie die anderen Tische und Sitzecken der Bar mit dem Blick streift und den Lobbybereich aus den Augenwinkeln beobachtet.
„ Du hast mich zu einem Gespräch eingeladen“, sage ich, nachdem sie keine weiteren Anstalten macht, das Geplänkel fortzusetzen, „vielleicht erzählst du mir etwas mehr von dir. Wir kennen uns ja nur flüchtig und haben damals keine zwei Worte gewechselt.“
Sie schaut sich dauernd um. Ihre Augen sind unruhig, und ihr Wesen auch. Die Selbstsicherheit, die sie während ihres Vortrags und des danach erfolgten Gesprächs ausgestrahlt hat, ist derzeit nicht zu spüren. Als sie wieder den Blick auf mich heftet, wirkt sie beunruhigt, sagt aber nichts.
„ Und was aus meinem Wagen geworden ist, in dem du getürmt bist.“
Sie starrt mich an.
„ Was ist los?“ frage ich. „Stimmt etwas nicht?“
„ Bist du allein gekommen?“
„ Mit wem hätte ich kommen sollen?“
„ Nimmst du dieses Gespräch auf?“
„ Nein.“
„ Würde es dir etwas ausmachen, aufzustehen?“
Ich stehe auf. „Ich weiß nicht, was das werden soll“, sage ich, während sie hinzu tritt und mich abklopft wie jemand am Flughafen, der wissen will, ob man Bomben einstecken hat.
„ Machst du dein Hemd auf?“
„ Wie bitte?“
„ Ob du dein Hemd aufknöpfen kannst. Es ist hier nicht so kalt, ich glaube, es kann nicht so schlimm für dich sein, Rostiv.“
„ Zek“, sage ich, und knöpfe mein Hemd auf. Alle Knöpfe bis zum Gürtel. „Vielleicht summen wir eine kleine Melodie dazu“, scherze ich, „dann könnte das jetzt als Striptease im öffentlichen Bereich durchgehen. Macht dich das scharf?“
Sie verzieht ihren Mund, grinst andeutungsweise. „Knöpfe dir dein Hemd wieder zu“, sagt sie, und schaut sich wieder um. Wenn es ihre Absicht sein sollte, möglichst unauffällig zu bleiben, verfolgt sie die falsche Strategie. Die Geschichte mit dem Hemd garantiert, dass uns in der Folge dauernd Seitenblicke streifen. Von anderen Menschen hier in der Bar. Vom Personal. Und wahrscheinlich von den Menschen, die die Kameras in der Bar bedienen und irgendwo in einem Hinterzimmer sitzen und den Monitor, auf dem wir zu sehen sind, ab jetzt besonders intensiv mustern werden.
„ Du weißt also, wie ich heiße“, setze ich das Gespräch fort. „Woher weißt du das? Ich habe es dir nie gesagt, Jeka.“
„ Jeder weiß, wer du bist. Jeder hier.“
„ Ach ja. Ich bin berühmt?“
Sie lässt ein Schnauben hören.
„ Hast du irgendwelche Ängste?“ frage ich. Sie sitzt vor mir und starrt in ihren Drink. Sie rührt darin, als wolle sie die Eiswürfel auflösen.
„ Angst, wer hat die nicht?“
„ Ich zum Beispiel“, entgegne ich, „ich habe keine Angst. Ich wüsste nicht, warum. Ich bin nicht wichtig genug, um ängstlich sein zu müssen. Mit dir scheint das anders zu sein, Jeka. Du bist wichtig, nicht wahr?“
„ Angst, das ist der Intelligenztest, den die Natur uns abverlangt“, sagt sie. „Und es kommt wahrscheinlich darauf an, ob man ein Löwe ist oder ein Hase, inwieweit wir unsere Zuflucht zu diesen Gefühlen nehmen.“
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll und schweige.
„ Mir gefällt es, wie du Jeka sagst“, fährt sie fort, „schon dass du dir meinen Namen gemerkt hast. Aber auch, wie du ihn aussprichst. Mir ist das gleich aufgefallen. Und dann habe ich gedacht, vielleicht hast du ja auch eine Agenda. Vielleicht geht es darum, mich auszuhorchen. Wer immer dich dazu beauftragt hat, weiß schon, was ich sagen will, ohne dass ich es selbst weiß. Verstehst du?
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