Abendfrieden
lag. »Nehmen Sie Platz. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Oh, nein danke.« Anja Holthusen wirkte fast erschrocken. Sie setzte sich vorsichtig auf einen der dunkelgrauen Freischwinger. Das Licht blendete noch immer, und nun fand sie den Mut, den Stuhl ein wenig rumzurucken.
»Sie wissen, warum Sie hier sind?«
Anja Holthusen hob die Schultern. »Ich hab Ihnen doch schon alles gesagt.«
»Wir möchten alles über den Freundes- und Bekanntenkreis von Frau Holthusen wissen. Bitte denken Sie nach, lassen Sie nichts aus, jeder Hinweis ist wichtig.«
Danzik ließ ihr Zeit. Er wusste, dass sie nicht gleich reagieren würde, dass sie eine Falle witterte, in die sie auf keinen Fall tappen wollte. Endlich kam die Antwort. »Sie war ja meistens in der Galerie. Fast alle, mit denen sie verkehrte, hatten was mit ihrer Malerei zu tun. Richtig befreundet war sie nur mit Herrn Singer.«
»Dem Galeristen. Wie stand sie zu Frau Singer?«
»Das Verhältnis war gespannt. Wegen dieser Hundeleinen-Geschichte. Trotzdem ging alles weiter, weil Thomas’ Mutter ja diesen enormen Erfolg mit ihren Bildern dort hatte.«
Warum sagt sie nicht ›meine Schwiegermutter^ überlegte Danzik, wie es doch normal wäre. Aber hier ist eben nichts normal. Der Abscheu musste grenzenlos sein. Bei der ersten Befragung war ihm das nicht aufgefallen. Da hatte sie wohl nur »sie« gesagt. »Wer kam regelmäßig zu Besuch zu Ihrer Schwiegermutter?«
Anja Holthusen wurde plötzlich rot. Sie senkte den Blick und griff fester nach ihrer Handtasche. »Niemand.«
Getroffen, dachte Danzik. Seine Formulierung, die einen regelmäßigen Besuch als Tatsache hinstellte, hatte verfangen. »Niemand?? In dem Alter hat man doch seine Kaffeerunden, pardon: in dem Fall Teerunden. Eine Nachbarin? Jemand aus der Galerie-Szene? Eine Verwandte?«
»Nein.« Anja Holthusens Röte schien jetzt in eine beengende Hitze überzugehen. Sie schob den Mantel etwas die Schultern hinunter.
Danzik drehte schweigend an seinem Schnurrbart. Unter seinem Blick begann sein Gegenüber immer stärker zu schwitzen. »Sagen Sie mir einfach, welche Kontakte es noch außer den Galerie-Leuten gab. Es war von einem Esoterik-Kreis die Rede.«
»Das sind doch nur tatterige alte Tanten.«
»Gab es irgendjemanden, der mit ihr verfeindet war? Der vielleicht eine alte Rechnung zu begleichen hatte?«
Anja Holthusen stieß die Luft aus. Es sah aus, als wiche plötzlich eine Last von ihr. »Ja, natürlich, die Edith Niehoff.«
»Und wer ist das?«
»Eine alte Schulfreundin.« Anja Holthusen beugte sich verschwörerisch vor. Auf ihrem Gesicht war fast so etwas wie Freude zu erkennen. »Das ist eine ganz seltsame Geschichte. Vor Jahrzehnten hat Elisabeth den Sohn dieser Freundin totgefahren.«
»Das ist ja ’n Hammer.«
»Ja, nicht wahr?« Anja Holthusen störte sich nicht an dem Ausdruck. Sie genoss es, den Kommissar – wenn auch nur kurz – verblüfft zu haben. »Wie kam das?«
»Sie hat ihn an der Garagentür zerquetscht. Das Auto rollte ungebremst los, irgendein Defekt, rein technisch kann ich es Ihnen nicht erklären. Jedenfalls hat die Untersuchung ergeben, dass sie absolut keine Schuld hatte.« Anja Holthusen erzählte es, als bedaure sie das noch heute. »Wie hat die Freundin, diese Frau – Niehoff reagiert?«
»Sie hat den Kontakt abgebrochen, wollte Elisabeth nie mehr im Leben sehen. Weil es doch ihr einziger Sohn war. Und den hatte sie ganz mühsam bekommen. In letzter Tüte, mit 41 Jahren.«
»Wie meinen Sie das – mühsam?«
Anja Holthusen machte eine Miene, als gäbe sie ein Geheimwissen preis. »Na, mit Samenklau. Sie hat sich einen geschnappt, nur um – na, Sie wissen schon. Schlimm, nicht?«
Gegen seinen Willen musste Danzik ihr Recht geben. Für Momente schweiften seine Gedanken ab, und es überkam ihn ein leiser Schauder. Konnte es sein, dass auch ihn eine Frau schon mal reingelegt hatte? Liefen vielleicht irgendwo in der Welt ein paar uneheliche Kinder von ihm rum? »Und wer war oder ist der Vater?«
»Weiß man nicht. Außer der Mutter sollen es nur die Holthusens gewusst haben. Man einigte sich, dass alle darüber schweigen würden.«
»Was hat denn Frau Niehoff beruflich gemacht?«
»Die?« Anja Holthusen verzog verächtlich den Mund. »Die hat früher als Apothekenhelferin gearbeitet. Hat jedenfalls nur eine kleine Rente.«
»Apothekenhelferin«, murmelte Danzik und machte sich innerlich eine Extra-Notiz. »Und Frau Niehoff hat nie wieder mit Ihrer Schwiegermutter
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