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Abendruh: Thriller (German Edition)

Abendruh: Thriller (German Edition)

Titel: Abendruh: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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seiner Altersgenossen.«
    Jane dachte an die Bücher, die sie in Teddys Zimmer gesehen hatte, und an das breite Spektrum entlegener Themen, die sie abdeckten. Griechische Geschichte. Ethnobotanik. Kryptozoologie. Sie bezweifelte, dass die Mehrheit der Vierzehnjährigen überhaupt schon einmal von diesen Themen gehört hatte. »Asperger-Syndrom«, sagte sie.
    Moore nickte. »Das hat die Nachbarin auch gesagt. Die Clocks haben Teddy untersuchen lassen, und der Arzt erklärte ihnen, dass Teddys Verstand einwandfrei funktioniert, dass er aber bestimmte emotionale Signale nicht wahrnimmt. Deshalb fällt es ihm so schwer, Freunde zu finden.«
    »Und nun hat er niemanden mehr«, sagte Jane. Sie dachte daran, wie er sich im Wintergarten der Nachbarin an sie geklammert hatte. Auch jetzt noch spürte sie sein seidiges Haar an ihrer Wange, roch noch den Duft nach verschlafenem Jungen, der seinem Pyjama entströmte. Sie fragte sich, wie er mit der Pflegefamilie zurechtkam, der das Jugendamt ihn im Eilverfahren zugewiesen hatte. Am Abend zuvor, ehe sie zu ihrer eigenen Tochter zurückgekehrt war, war sie zu Teddys neuem Zuhause gefahren und hatte ihm seine Brille gebracht. Er wohnte jetzt bei einem älteren Ehepaar, bewährten Pflegeeltern, die sich schon seit vielen Jahren um Kinder in Krisensituationen kümmerten.
    Doch der Blick, mit dem Teddy Jane angesehen hatte, als sie nach diesem Besuch das Haus verlassen hatte, konnte einer Mutter das Herz brechen. Als ob sie der einzige Mensch wäre, der ihn retten könnte, und sie ihn stattdessen bei wildfremden Menschen zurückließ.
    Moore griff in seine Mappe und zog den Ausdruck einer Weihnachtskarte heraus, mit einem Foto und dem Text: FROHE FEIERTAGE WÜNSCHEN DIE CLOCKS ! »Das ist die letzte Nachricht, die die Nachbarin von den Clocks erhalten hat. Es ist eine elektronische Karte, abgeschickt etwa einen Monat nachdem die Familie Providence verlassen hatte. Sie haben ihre drei Kinder aus der Schule genommen, haben ihr Haus zum Verkauf angeboten, und dann ist die ganze Familie zu einer Weltumsegelung aufgebrochen.«
    »Mit einer 75-Fuß-Jacht? Die müssen ja Geld gehabt haben«, meinte Frost. »Wovon haben sie eigentlich gelebt?«
    »Annabelle war Hausfrau. Nicholas hat als Finanzberater für ein Unternehmen in Providence gearbeitet. Die Nachbarin konnte sich nicht an den Namen erinnern.«
    Crowe lachte. »Ja, wer sich Finanzberater schimpft, hat ganz bestimmt reichlich Schotter.«
    »Es ist irgendwie schon ein radikaler Schritt, oder?«, sagte Frost. »So urplötzlich alle Zelte abzubrechen, alles zurückzulassen und die ganze Familie auf eine Jacht zu schleifen.«
    »Die Nachbarin sah das jedenfalls genauso«, sagte Moore. »Und es kam tatsächlich sehr unvermittelt. Annabelle hatte bis einen Tag vor ihrer Abreise kein Wort über ihre Pläne verloren. Da fragt man sich schon …«
    »Was denn?«, warf Crowe ungeduldig ein.
    »Ob die Familie vor irgendetwas davongelaufen ist. Hatten sie vor irgendetwas Angst? Vielleicht gibt es ja doch einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Überfällen auf Teddy.«
    »Im Abstand von zwei Jahren?« Crowe schüttelte den Kopf. »Soviel wir wissen, haben die Clocks und die Ackermans einander nicht einmal gekannt. Bis auf den Jungen hatten sie nichts gemeinsam.«
    »Es lässt mir einfach keine Ruhe. Das ist alles.«
    Und es ließ Jane auch keine Ruhe. Sie betrachtete das Weihnachtsfoto, das letzte, das von den Clocks existierte. Annabelle Clocks kastanienbraunes Haar war sportlich-elegant hochgebürstet und schimmerte leicht golden. Ihr Gesicht, wie aus Elfenbein gemeißelt, mit fein geschwungenen Brauen, hätte einem Renaissancemaler als Modell dienen können.
    Nicholas war blond und athletisch gebaut, das zitronengelbe Polohemd spannte sich über seinen beeindruckenden Schultern. Mit dem kantigen Kiefer und dem offenen Blick wirkte er wie ein Mann, der das Zeug hatte, seine Familie vor jeder Gefahr zu beschützen. An dem Tag, an dem dieses Foto entstanden war, als er lächelnd vor der Kamera posiert hatte, einen muskulösen Arm um seine Frau geschlungen, hatte er sich nicht vorstellen können, welches Grauen über sie hereinbrechen würde. Er hatte nicht ahnen können, dass ihm selbst ein nasses Grab beschieden war. Dass seine Frau und zwei ihrer Kinder brutal niedergemetzelt würden. In diesem Augenblick hatte die Kamera eine Familie eingefangen, die keinen Grund hatte, die Zukunft zu fürchten; der Optimismus strahlte hell aus ihren Augen

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