Abendruh: Thriller (German Edition)
und ihrem Lächeln und aus dem geschmückten Weihnachtsbaum hinter ihnen. Selbst Teddy wirkte ausgelassen, wie er da neben seinen jüngeren Schwestern stand, drei entzückende Kinder, alle mit den gleichen hellbraunen Haaren und großen blauen Augen. Alle lächelten, sicher und geborgen im Schoß ihrer Familie.
Und Jane dachte: Teddy wird sich nie wieder sicher und geborgen fühlen.
Töten ist nicht schwer. Man braucht dazu lediglich eine günstige Gelegenheit und ein passendes Werkzeug, sei es eine Kugel, ein Messer oder ein wenig Semtex. Und bei richtiger Planung sind auch keine Aufräumarbeiten nötig. Aber einen Mann wie Ikarus aus dem Weg zu räumen, der auf der Hut ist und sich zur Wehr setzt, einen Mann, der sich mit seiner Familie und seinen Bodyguards umgibt, ist eine wesentlich heiklere Operation.
Und das ist der Grund, weshalb wir den größten Teil jenes Junis mit Beobachtung, Aufklärung und Probeläufen zubrachten. Wir arbeiteten von früh bis spät, sieben Tage die Woche, aber niemand beschwerte sich. Warum auch? Unser Hotel war komfortabel, die Spesen gedeckt. Und am Ende des Tages gab es immer reichlich Alkohol. Keinen billigen Fusel, sondern gute italienische Weine. Wir waren der Meinung, dass wir für das, was wir leisteten, das Beste verdient hatten.
Es war ein Donnerstag, als wir den Anruf von unserem Mann vor Ort bekamen. Er arbeitete als Kellner im Restaurant La Nonna, und an diesem Abend waren zwei Tische nebeneinander reserviert worden, einer für vier Personen, der andere für zwei. Mehrere Flaschen Brunello di Montalcino waren vorbestellt worden und sollten kurz vor Eintreffen der Gäste dekantiert werden. Unser Mann hatte keinen Zweifel, für wen diese Tische reserviert waren.
Sie trafen alle gleichzeitig ein, jedoch in zwei getrennten Wagen. In dem schwarzen BMW saßen die zwei Leibwächter. Der silberfarbene Volvo wurde von Ikarus selbst gesteuert. Das war eine seiner Marotten: Er bestand immer darauf, selbst zu fahren, weil er alles unter Kontrolle haben wollte. Beide Autos parkten direkt gegenüber vom La Nonna, wo man sie während des Essens im Blick haben würde. Ich hatte meinen Posten schon eingenommen; auf der Terrasse eines nahen Cafés nippte ich an einem Espresso. Dort würde ich in der ersten Reihe sitzen, wenn die minutiös choreografierte Operation über die Bühne ging.
Ich sah die Bodyguards als Erste aus ihrem BMW steigen, und sie beobachteten, wie Ikarus aus seinem Volvo kletterte. Er fuhr immer einen Volvo, eine unspektakuläre Wahl für einen Mann, der sich eine ganze Flotte von Maseratis hätte leisten können. Er öffnete die Fondtür, und heraus kam einer der Gründe, warum er sich für ein so sicheres Fahrzeug entschieden hatte. Der kleine Carlo, der jüngere Sohn, war acht Jahre alt, mit großen dunklen Augen und den widerspenstigen Haaren seiner Mutter. Der Schnürsenkel des Jungen war aufgegangen, und Ikarus bückte sich, um ihn zuzubinden.
Das war der Moment, als Carlo mich an meinem Cafétisch erspähte. Seine Augen hefteten sich so intensiv auf mich, dass mich die Panik packte. Ich dachte: Der Junge weiß Bescheid. Irgendwie weiß er, was passieren wird. Ich hatte keine Kinder; niemand in unserem Team hatte Kinder, und deswegen waren sie uns allen ein Rätsel. Sie waren wie kleine Außerirdische, ungeformte Wesen, die man ignorieren konnte. Doch Carlos Augen waren leuchtend und klug, und ich hatte das Gefühl, dass er mir die Maske vom Gesicht riss, dass ich nackt und bloß dastand, unfähig, eine Rechtfertigung für das zu liefern, was wir seinem Vater antun würden.
Dann stand Ikarus auf. Er nahm Carlos Hand und überquerte die Straße, gefolgt von seiner Frau und seinem älteren Sohn, und sie betraten das Restaurant La Nonna, um dort zu Abend zu speisen.
Ich atmete weiter.
Unser Team trat in Aktion.
Eine junge Frau näherte sich. Sie schob einen Kinderwagen, das Baby lag versteckt unter Bergen von Decken. Plötzlich fing es an zu schreien, die Frau beugte sich über den Kinderwagen und redete beruhigend auf es ein. Ich war als Einziger nahe genug, um zu sehen, wie sie den Reifen des Wagens der Bodyguards aufschlitzte. Das Baby war wieder still, und die Frau ging weiter den Gehweg entlang.
In diesem Moment wurde im La Nonna der Wein eingeschenkt, zwei kleine Jungen drehten Spaghetti auf ihre Gabeln, und aus der Küche wurden Teller mit Kalb, Lamm und Schweinefleisch aufgetragen.
Draußen auf der Straße war die Falle kurz davor zuzuschnappen.
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