Abendruh: Thriller (German Edition)
makellos glatt gestrichene Bettdecke, das Laken, stramm in die Matratze gesteckt wie beim Militär. War dieses perfekt gemachte Bett ein Produkt von Teddys zwanghafter Ordnungsliebe? Wenn ja, dann hatte ihm diese Eigenschaft vielleicht das Leben gerettet. Während Teddy sich unter dem Bett zusammenkauerte, hatte der Mörder das Licht angeknipst und war ins Zimmer getreten.
Schwarze Schuhe. Das ist alles, was ich gesehen habe. Er trug schwarze Schuhe, und er stand direkt vor meinem Bett.
Vor dem Bett, das um Mitternacht noch unberührt war. Der Eindringling musste zu dem Schluss kommen, dass das Kind, das in diesem Zimmer schlief, woanders übernachtete.
Der Mörder mit den schwarzen Schuhen war wieder hinausgegangen. Stunden verstrichen, doch Teddy wagte sich nicht unter dem Bett hervor, zuckte bei jedem Knacken zusammen. Immer glaubte er zu hören, wie die Schritte zurückkamen, leiser, verstohlener, und er bildete sich ein, dass der Mörder immer noch im Haus war und auf ihn wartete.
Er wusste nicht, wie spät es war, als er endlich einschlief. Er wusste nur, dass die Sonne schien, als er aufwachte. Dann erst war er endlich aus seinem Versteck gekrochen, ganz steif und wund, nachdem er die halbe Nacht auf dem Boden gelegen hatte. Er hatte aus dem Fenster geschaut und Mrs. Lyman in ihrem Garten arbeiten sehen. Das Nachbarhaus versprach Sicherheit; dort war jemand, der ihm helfen konnte.
Und dort hatte er Zuflucht gesucht.
Jane kniete nieder und warf einen Blick unter das Bett. Es war so wenig Platz zwischen dem Lattenrost und dem Boden, dass sie niemals hineingepasst hätte. Aber der Junge hatte sich in seiner Todesangst in diesen Spalt gezwängt, wo es enger war als in einem Sarg. Irgendwo weit hinten in dieser dunklen Höhle sah sie etwas aufblitzen, und sie musste sich flach auf den Boden legen, um mit der Hand heranzukommen.
Es war die Brille, die Teddy verloren hatte.
Sie stand wieder auf und sah sich noch ein letztes Mal im Zimmer um. Obwohl die Sonne hell zum Fenster hereinschien und draußen sommerliche vierundzwanzig Grad herrschten, überlief sie in diesen Mauern ein Frösteln, und sie erschauerte. Es war merkwürdig, dass sie diese unnatürliche Kälte in den Zimmern, in denen die Opfer gestorben waren, nicht empfunden hatte. Nein, nur hier in diesem Raum schien das Grauen der vergangenen Nacht noch nachzuwirken.
Hier im Zimmer des Jungen, der überlebt hatte.
6
»Teddy Clock«, sagte Detective Thomas Moore, »muss der größte Pechvogel der Welt sein. Wenn man bedenkt, was ihm alles zugestoßen ist, wundert es einen nicht, dass er seelisch schwer gestört ist.«
»Nicht, dass er je normal gewesen wäre«, meinte Darren Crowe. »Der Knabe ist einfach seltsam.«
»Inwiefern seltsam?«
»Er ist vierzehn und treibt keinen Sport? Sieht nie fern? Er verbringt alle seine Abende und Wochenenden mit seinem Computer und einem Haufen verstaubter Schwarten.«
»Manche Leute würden das nicht seltsam finden.«
Crowe drehte sich zu Jane um. »Du hast am meisten Zeit mit ihm verbracht, Rizzoli. Du musst doch zugeben, dass der Kleine nicht ganz richtig im Kopf ist.«
»Das ist deine beschränkte Sichtweise«, erwiderte Jane. »Teddy ist viel klüger, als du denkst.«
»Na, na«, tönte es im Chor, während die anderen vier Detectives am Tisch gespannt Crowes Reaktion auf diese nicht allzu subtile Beleidigung beobachteten.
»Es gibt unnützes Wissen«, konterte Crowe, »und es gibt gesunden Menschenverstand.«
»Er ist erst vierzehn und hat schon zwei Massaker überlebt«, sagte sie. »Erzähl mir nicht, dass der Junge keinen gesunden Menschenverstand hat.«
Als Teamleiter der Ackerman-Ermittlung gebärdete Crowe sich noch ruppiger als sonst. Die morgendliche Einsatzbesprechung dauerte jetzt schon fast eine Stunde, und alle waren gereizt. In den rund dreißig Stunden seit dem Blutbad im Haus der Ackermans hatte der Medienrummel sich noch verstärkt, und das Erste, was Jane gleich am Morgen zu Gesicht bekommen hatte, war die Schlagzeile in der Boulevardpresse: » HORROR AUF BEACON HILL «, zusammen mit einem Foto ihres Hauptverdächtigen Andres Zapata, des flüchtigen Freunds der Haushälterin. Es war ein altes Polizeifoto, das nach seiner Verhaftung wegen Drogenschmuggels in Kolumbien entstanden war, und auf dem sah er wirklich aus wie ein brutaler Mörder. Er war ein illegaler Einwanderer, er war wegen Einbruch vorbestraft, und seine Fingerabdrücke hatte man an der Küchentür der Ackermans sowie
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