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Abendruh: Thriller (German Edition)

Abendruh: Thriller (German Edition)

Titel: Abendruh: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ganze Länge einer Wand einnahm.
    »Es wundert mich, dass bei Ihnen der Unterricht immer noch läuft, obwohl schon Sommerferien sind«, sagte Maura.
    »Die Alternative ist, dass zwei Dutzend Schüler vor lauter Langeweile einen Rappel kriegen. Nein, wir versuchen lieber, die grauen Zellen auf Trab zu halten.«
    Sie bogen um eine Ecke und erblickten plötzlich einen riesigen schwarzen Hund, der sich vor einer geschlossenen Tür ausgestreckt hatte. Bei Mauras Anblick hob er sofort den Kopf, und im nächsten Moment kam er unter heftigem Schwanzwedeln auf sie zugeschossen.
    »He, Bear, nicht so stürmisch!« Maura lachte, als der Hund an ihr hochsprang und zwei mächtige Pfoten auf ihren Schultern landeten, während eine feuchte Zunge ihr das Gesicht abschleckte. »Wie ich sehe, haben deine Manieren sich nicht gebessert.«
    »Er freut sich offenbar, Sie wiederzusehen.«
    »Und ich freue mich auch, dich zu sehen«, flüsterte Maura und tätschelte den Hund. Er ließ sich wieder auf alle viere fallen, und sie hätte schwören können, dass er sie anlächelte.
    »Dann lasse ich Sie mal hier allein«, sagte Lily. »Julian hat Ihrer Ankunft regelrecht entgegengefiebert – also gehen Sie doch einfach rein.«
    Maura winkte ihr zum Abschied zu und schlich dann so leise in das Klassenzimmer, dass niemand ihr Eintreten bemerkte. Sie stellte sich in die Ecke und sah zu, wie der kahlköpfige und bebrillte Lehrer den Stundenplan für die Woche mit dürrer, zittriger Hand an die Tafel schrieb.
    »Um Punkt acht Uhr früh treffen wir uns am See«, sagte er. »Wer zu spät kommt, hat Pech gehabt – wir warten nicht auf Nachzügler. Und die verpassen dann die einmalige Chance, ein seltenes Exemplar von Amanita bisporigera zu sehen, das kurz nach dem letzten Regen aus dem Boden geschossen ist. Bitte festes Schuhwerk und Regenzeug mitbringen. Es könnte matschig werden.«
    Selbst von hinten war Julian Perkins, genannt »Rat«, unter den zwei Dutzend Schülern, die im Halbkreis um Professor Pasquantonios Schautisch standen, unschwer auszumachen. Mit seinen sechzehn Jahren hatte er schon die Statur eines Mannes, mit breiten Schultern, die noch muskulöser geworden waren, seit Maura ihn zuletzt gesehen hatte. Diese Schultern waren im vergangenen Winter ihre zuverlässige Stütze gewesen, als sie gemeinsam in den Bergen von Wyoming ums Überleben gekämpft hatten – ein Erlebnis, das sie untrennbar zusammengeschweißt hatte. Julian war für sie wie der Sohn, den sie nie gehabt hatte und nie haben würde, und sie sah mit Stolz, wie gerade er sich hielt und wie aufmerksam er zuhörte, obwohl Professor Pasquantonio mit einer Leierstimme dozierte, die an eine summende Fliege erinnerte.
    »Ich möchte, dass ihr alle eure Referate über Pflanzengifte bis Freitag abgebt, bevor die meisten von euch zu dem Ausflug nach Quebec aufbrechen. Und nicht vergessen – am Mittwoch haben wir das Pilzbestimmungs-Quiz. Ihr könnt jetzt gehen.«
    Als Julian sich zum Gehen wandte, entdeckte er Maura – und grinste sogleich über beide Ohren. Mit zwei Schritten war er bei ihr und wollte sie bereits in die Arme schließen. Doch im letzten Moment schien ihm bewusst zu werden, dass seine Klassenkameraden zuschauten, und er überlegte es sich anders – Maura musste sich mit einem Küsschen auf die Wange und einem Klaps auf die Schulter begnügen.
    »Du hast es also endlich geschafft! Ich habe den ganzen Nachmittag auf dich gewartet.«
    »Tja, jetzt haben wir ja zwei volle Wochen zusammen.« Sie schob ihm die dunkle Stirnlocke aus dem Gesicht, und ihre Hand ruhte einen Moment lang auf seiner Wange, wo sie zu ihrer Überraschung einen ersten Ansatz von Bartflaum spürte. Er wurde viel zu schnell erwachsen.
    Ihre Berührung ließ ihn erröten. Jetzt erst merkte Maura, dass einige seiner Mitschüler noch herumstanden und sie beobachteten. Die meisten Teenager ignorierten Erwachsene einfach völlig, doch Julians Klassenkameraden schienen fasziniert von dieser Besucherin aus der Welt da draußen. Sie waren schätzungsweise zwischen zwölf und achtzehn Jahre alt, und auch ihr modisches Erscheinungsbild war recht gemischt, von einem blonden Mädchen mit zerrissener Bluejeans bis hin zu einem Jungen mit Anzugshose und Oxford-Hemd. Und sie alle starrten Maura an.
    »Sie sind die Rechtsmedizinerin«, sagte ein Mädchen mit Minirock. »Wir haben gehört, dass Sie kommen.«
    Maura lächelte. »Julian hat von mir erzählt?«
    »Ja doch, die ganze Zeit quasi. Werden Sie hier

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