Abendruh: Thriller (German Edition)
kennenlernen.« Detective Rizzoli öffnete die Boxentür. »Komm mit.«
Teddy trat hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Doch dann drehte er sich noch einmal um und flüsterte Claire zu: »Teddy Clock heiß ich.«
Teddy Clock – der Name passt zu ihm, dachte Claire, während sie ihm nachsah. Sie verließ die Box und schob die Schubkarre mit dem Pferdemist aus dem Stall. Auf dem Scheunenhof machte dieser nervige Hahn schon wieder Ärger – jagte ein armes zerzaustes Huhn und hackte auf ihm herum. Auch Vögel konnten grausam sein. Sie sind genau so gemein wie wir, dachte sie. Sie greifen einander an, töten sogar ihre Artgenossen. Beim Anblick dieser armen Henne, die sich unter Hermans Attacken duckte, packte sie plötzlich die Wut.
»Lass sie in Ruhe !« Sie trat nach dem Hahn, doch Herman brachte sich mit ein paar Flügelschlägen in Sicherheit und rannte kreischend davon. »Blödes Mistvieh!«, schrie sie. Als sie sich umdrehte, sah sie eine der Prinzessinnen lachend am Zaun stehen und zu ihr herüberschauen. »Was ist?«, fauchte sie.
»Er ist doch bloß ein Vogel, du Hirni. Was hast du denn für ein Problem?«
»Als ob das irgendwen interessiert«, murmelte sie und stapfte davon.
Bis zu dem Moment, als alles im Chaos endete, war die Operation wie am Schnürchen gelaufen. Wenn eine solche Katastrophe eintritt, kann man gewöhnlich im Rückblick genau den Punkt identifizieren, an dem die Sache aus dem Ruder lief, an dem ein einziger unglücklicher Zufall eine Folge von Ereignissen in Gang setzte, die unweigerlich im Desaster mündete. Kleine Ursache, große Wirkung, sagt man, und es stimmt. Das kleinste Detail kann, wenn man es übersieht, fatale Folgen haben.
Doch an jenem Juniabend in Rom, als wir unser Ziel schon vor Augen hatten, schien es keinen Zweifel zu geben, dass wir die Schlacht gewinnen würden.
Im La Nonna waren Ikarus und seine Begleiter gerade mit dem Dessert fertig. Wir waren alle in Position, als sie endlich herauskamen, die Bodyguards zuerst, gefolgt von Ikarus, seiner Frau und seinen Söhnen. Ein üppiges Mahl, begleitet von erlesenen Weinen, hatte Ikarus an jenem Abend heiter und sorglos gestimmt, und er blieb nicht stehen, um seine Umgebung abzusuchen, sondern hielt direkt auf seinen Wagen zu. Er half seiner Frau Lucia und ihren beiden Söhnen in den Volvo und setzte sich anschließend hinters Steuer. Direkt hinter ihm stiegen die Leibwächter in ihren BMW .
Ikarus fuhr als Erster los.
In dem Moment, als er den Wagen vom Bordstein auf die Straße lenkte, setzte der Gemüsetransporter zurück und blieb so stehen, dass er dem BMW den Weg versperrte. Die Leibwächter stiegen aus und schrien den Fahrer an, er solle Platz machen, doch er ignorierte sie und trug in aller Seelenruhe eine Kiste Zwiebeln in die Küche des La Nonna.
Da bemerkten die Leibwächter, dass man ihnen die Reifen aufgeschlitzt hatte und sie nicht von der Stelle konnten. Ein Hinterhalt. Ikarus begriff sofort, was hier passierte, und er reagierte so, wie wir es erwartet hatten.
Er trat das Gaspedal durch und raste davon, um in seiner Residenz hoch oben auf dem Berg Zuflucht zu suchen.
Wir waren in dem Wagen direkt hinter ihm. Ein zweites Fahrzeug, mit zwei weiteren Mitgliedern unseres Teams, wartete hundert Meter weiter am Straßenrand. Sie scherten unmittelbar vor Ikarus aus, sodass der Volvo von unseren beiden Fahrzeugen in die Zange genommen wurde.
Die Straße verengte sich, als sie sich in Serpentinen den Berg hinaufwand. Vor einer unübersichtlichen Kurve bremste der erste Wagen ab. Unser Plan war, Ikarus zum Anhalten zu zwingen, ihn aus dem Volvo zu zerren und in unseren Wagen zu packen. Doch anstatt abzubremsen, überraschte uns Ikarus, indem er ohne Rücksicht auf Verluste beschleunigte und sich an dem ersten Wagen vorbeizwängte, den er nur um wenige Zentimeter verfehlte.
Niemand sah den entgegenkommenden Lastwagen, bis es zu spät war.
Ikarus riss in Panik das Steuer nach rechts, und der Volvo krachte in die Leitplanke. Er prallte ab und geriet ins Schleudern.
Der Lastwagen rammte ihn seitlich und drückte die Türen auf der Beifahrerseite ein.
Noch ehe ich aus meinem Wagen kletterte, wusste ich bereits, dass die Frau tot war. Ich erreichte das Wrack vor den anderen und riss Ikarus’ Tür auf, sah vor allen anderen das Blutbad im Wageninnern. Lucias zerschmetterten Körper. Das zerstörte Gesicht des Zehnjährigen. Und den kleinen Carlo, noch bei Bewusstsein, aber tödlich verletzt. Carlo sah mich
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