Abendruh: Thriller (German Edition)
Ausgangs. Und in der ersten Reihe saßen die zwei neuesten Mitglieder der Schakale, Will Yablonski und Teddy Clock. Ihre Geschichten kannte Maura nur zu gut.
Sechs Jungen, sechs Tragödien, dachte sie. Aber das Leben ging weiter, und hier waren sie nun, manche von ihnen mit Narben, allesamt Davongekommene. Dieser Club war ihre Art, mit dem Verlust umzugehen, mit den schlimmen Erinnerungen; eine Chance für diese machtlosen Kinder, sich auch einmal wie Krieger fühlen zu können.
Doch als Kämpfer gegen das Verbrechen wirkte ihre kleine Truppe eher wenig überzeugend.
Nur Julian hob sich mit seiner hohen Gestalt und seiner gebieterischen Ausstrahlung ab, ein Clubpräsident, der für die Rolle wie geschaffen schien. Auch wenn Jane die Schakale als CSI Highschool abgetan hatte, war deutlich zu erkennen, dass Julian seine Rolle als Vorsitzender des Vereins ernst nahm. Und die anderen Jungen im Raum sahen nicht minder ernsthaft drein.
»Heute können wir eine echte forensische Ermittlerin in unserer Versammlung begrüßen«, sagte Julian. »Dr. Isles arbeitet am Rechtsmedizinischen Institut in Boston, wo sie Obduktionen durchführt. Sie ist Doktor der Medizin. Forensische Pathologin. Wissenschaftlerin. Und …« Er sah sie voller Stolz an. »Sie ist meine Freundin.«
Meine Freundin. Zwei so schlichte Worte, und doch hatte die Art, wie er sie ausgesprochen hatte, eine viel tiefere Bedeutung für sie beide. Sie stand auf, lächelte und wandte sich mit dem gleichen Respekt an den Club, den die Mitglieder auch ihr entgegenbrachten.
»Vielen Dank für die Vorstellung, Julian. Wie er euch erklärt hat, bin ich Rechtsmedizinerin. Ich arbeite mit Toten. Ich untersuche Leichen auf dem Seziertisch, und ich betrachte Gewebeproben unter dem Mikroskop, um herauszufinden, woran ein Mensch gestorben ist. Ob es die natürliche Folge einer Erkrankung war. Oder ob Verletzungen oder Toxine – also Giftstoffe – die Ursache waren. Da ich als Wissenschaftlerin von der Medizin komme, kann ich euch beraten, wenn es um …« Sie hielt inne, als sie eine Bewegung draußen auf dem Flur wahrnahm – ein blonder Haarschopf blitzte auf. »Claire?«, rief sie. »Möchtest du bei uns mitmachen?«
Sofort drehten sich alle Köpfe zur Tür. Claire konnte sich schlecht unbemerkt davonschleichen, also zuckte sie mit den Achseln, als ob sie ohnehin nichts Besseres zu tun hätte. Sie ging direkt auf die erste Reihe zu und ließ sich mit gleichgültiger Miene auf den Stuhl neben Will sinken. Alle Jungen starrten noch immer diese exotische Kreatur an, die gerade in ihrer Mitte erschienen war. Ja, dachte Maura, Claire Ward war in der Tat ein merkwürdiges Mädchen. Mit ihren weißblonden Haaren und hellen Wimpern wirkte sie wie ein Wesen aus einer anderen Welt, eine Art Waldnymphe. Doch ihr gelangweilter Gesichtsausdruck und die hängenden Schultern waren hundert Prozent amerikanischer Teenager.
Claire drehte sich um und musterte die sprachlosen Jungen. »Sagt mal, tut ihr bei diesen Treffen auch irgendwas, oder glotzt ihr nur in die Gegend?«
Julian sagte: »Wir wollten gerade über das sprechen, was wir in der Weide gefunden haben.«
»Womit ich nichts zu tun hatte. Ganz egal, was irgendwer behauptet.«
»Wir halten uns nur an das Beweismaterial, Claire. Wo immer es uns hinführt.« Er sah Maura an. »Ich dachte mir, da du ja die Medizinexpertin bist, könntest du uns zunächst einmal etwas über die Todesursache sagen.«
Maura runzelte die Stirn. »Die Todesursache?«
»Des Hahns«, rief Bruno. »Wir wissen schon, dass die Todesart vorsätzliche Tötung war. Von Mord kann man bei einem Hahn ja vielleicht nicht sprechen. Aber wie ist er gestorben?«
Maura blickte in die Gesichter, die sie gespannt ansahen. Es ist ihnen ernst, dachte sie. Sie betrachten das hier tatsächlich als eine Todesermittlung.
»Sie haben ihn doch untersucht«, sagte Arthur. »Nicht wahr?«
»Nur flüchtig«, gab Maura zu. »Bevor Mr. Roman den Kadaver weggeworfen hat. Und nach der Art zu urteilen, wie der Hals abgeknickt war, lag eindeutig ein Genickbruch vor.«
»Ist der Tod denn durch Strangulation oder durch eine Rückenmarkverletzung eingetreten?«
»Sie hat doch gerade gesagt, dass sein Hals gebrochen war«, warf Bruno ein. »Das ist für mich ganz klar neurologisch und nicht vaskulär.«
»Und was ist mit der Schätzung des Todeszeitpunkts?«, fragte Lester. »Können Sie sagen, wie viel Zeit seit dem Exitus vergangen war?«
Maura sah vom einen zum anderen,
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