Abendruh: Thriller (German Edition)
Miene. Im Eilmarsch folgte sie Marquette in sein Büro, wo er die Tür hinter ihnen schloss. Sie wartete, bis er hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, ehe sie sich selbst hinsetzte und versuchte, seinem Blick nicht auszuweichen.
»Sie und Crowe werden wohl nie in irgendeinem Punkt einer Meinung sein, wie?«, begann er.
»Worüber hat er sich denn jetzt wieder beschwert?«
»Über das Fehlen einer gemeinsamen Front im Fall Ackerman. Die Tatsache, dass Sie immer wieder den Vorwurf einer Vorverurteilung ins Spiel bringen.«
»Ich bekenne mich schuldig«, sagte sie. »Ich bin tatsächlich der Meinung, dass hier vorschnell geurteilt wurde.«
»Ja, ja, ich habe alle Ihre Einwände vernommen. Aber Sie müssen bedenken, was das für ein Bild abgibt, wenn die Presse Wind von Ihrer Kritik bekommt. Es wäre ein PR -Desaster. Dieser Fall ist ohnehin schon in aller Munde. Eine reiche Familie, tote Kinder – alles Zutaten, die die Macher von Fernsehmagazinen und Talkshows lieben. Und der Schurke in dem Stück ist das Lieblingsfeindbild jedes zweiten Amerikaners, ein illegaler Einwanderer. Zapata war der ideale Täter für alle. Und was das Beste ist – er ist tot, und der Fall ist abgeschlossen. Ein Ende wie im Märchen.«
»Wenn Albträume Märchen wären.«
»Nun ja, in Grimms Märchen geht es auch nicht immer so friedlich zu.«
»Die Öffentlichkeit ist zufriedengestellt, also sagen Sie, ich soll den Mund halten und mich auch zufriedengeben?«
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Manchmal nerven Sie wirklich gewaltig, Rizzoli.«
»Das bekomme ich in letzter Zeit öfter zu hören.«
»Und genau deswegen sind Sie so eine gute Ermittlerin. Sie bohren immer hartnäckig nach. Sie buddeln wie ein Spürhund an Stellen, die sonst keinen interessieren. Ich habe Ihren Bericht über die drei Kinder gelesen. Semtex in New Hampshire? Eine Flugzeugbombe in Maryland? Das klingt allmählich nach einem regelrechten Massaker.« Er hielt inne und trommelte mit den Fingern auf den Schreibtisch, während er sie beobachtete. »Dann legen Sie mal los. Machen Sie Ihr Ding.«
Sie war nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. »Mein Ding?«
»Buddeln Sie weiter. Offiziell ist der Fall Ackerman abgeschlossen. Inoffiziell habe ich auch meine Zweifel. Aber Sie sind die Einzige, die das wissen darf.«
»Kann ich Frost mit an Bord nehmen? Ich könnte ihn gut gebrauchen.«
»Ich kann nicht noch mehr Ressourcen an diese Sache binden. Ich bin mir ja nicht einmal sicher, ob ich Ihnen erlauben soll, Zeit darauf zu verwenden.«
»Und warum tun Sie es dann?«
Er beugte sich vor und sah sie unverwandt an. »Hören Sie, ich würde diesen Fall liebend gerne auf der Stelle abschließen und als Erfolg verbuchen. Ich will, dass unsere Aufklärungsstatistik gut aussieht, das können Sie sich ja denken. Aber ich habe auch noch mein Bauchgefühl, genau wie Sie. Manchmal sind wir gezwungen, dieses Bauchgefühl zu ignorieren, und wenn sich dann herausstellt, dass wir die ganze Zeit die richtige Ahnung hatten, würden wir uns am liebsten in den Hintern beißen. Ich will nicht, dass man mir irgendwann vorwirft, ich hätte den Fall vorschnell zu den Akten gelegt.«
»Wir sichern uns also nach allen Seiten ab.«
»Was ist denn daran so falsch?«, erwiderte er gereizt.
»Gar nichts.«
»Okay.« Er lehnte sich wieder zurück. »Wie sieht Ihr Plan aus?«
Darüber musste sie einen Moment nachdenken; es galt zu entscheiden, welche der vielen unbeantworteten Fragen Vorrang hatte. Und sie kam zu dem Schluss, dass ihre drängendste Frage lautete: Was haben die Wards, die Yablonskis und die Clocks gemeinsam, abgesehen von der Tatsache, dass sie alle ermordet wurden? Haben sie einander gekannt?
»Ich muss nach Maryland fliegen.«
»Wieso Maryland?«
»Will Yablonskis Vater arbeitete auf dem NASA -Stützpunkt Goddard. Ebenso wie Wills Onkel Brian Temple. Ich möchte mit ihren Kollegen bei der NASA sprechen. Vielleicht wissen sie, warum dieses Flugzeug abgestürzt ist. Und warum Brian und seine Frau ihren Neffen so übereilt aus Maryland nach New Hampshire geschafft haben.«
»Wo dann ihr Haus in Flammen aufging.«
Sie nickte. »Das Ganze sieht allmählich nach einer sehr großen und sehr üblen Geschichte aus. Und deswegen hätte ich gerne Frost an meiner Seite, wenn ich versuche, der Sache auf den Grund zu gehen.«
Nach ein paar Sekunden nickte er. »Okay, Sie kriegen Frost. Ich gebe Ihnen drei Tage für diese Sache.«
»Wir machen uns
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