Abendstern - Roman
die Vergangenheit«, erwiderte Cal.
»Ja, das stimmt, aber ich empfange auch Energiewellen von Menschen und Orten, wenn sie stark genug sind. Wie ist es mit dir?« Sie blickte Gage an. »Gemeinsam erreichen wir vielleicht mehr. Machst du mit?«
Schweigend streckte er die Hand aus. Sie ergriff sie und sprang auf. Sie schauten über die stille braune Wasseroberfläche.
Plötzlich begann das Wasser zu brodeln. Kleine weiße
Schaumkronen entstanden auf den Wirbeln, und es begann zu brüllen wie das Meer bei Sturm.
Eine Hand schoss heraus und krallte sich in den Boden.
Aus dem wirbelnden Wasser zog sich Hester nach oben - mit wachsweißer Haut, nassen, wirren Haaren, dunklen, glasigen Augen und gefletschten Zähnen.
Cybil hörte sich schreien, als Hester Deale die Arme um sie schloss und sie ins braune Wasser zog.
»Cyb! Cyb! Cybil!«
Strampelnd kam sie wieder zu sich. Nicht Hester hielt sie fest, sondern Gage. »Was zum Teufel war das denn?«
»Du wolltest ins Wasser gehen.«
Cybil klopfte das Herz bis zum Hals. Sie zitterte am ganzen Leib, aber es gelang ihr, mit ruhiger Stimme zu sagen: »Na, das wäre aber nicht so angenehm gewesen.«
»Hast du etwas gesehen?«, fragte sie ihn.
»Das Wasser hat gebrodelt, und sie kam herauf. Du wärst beinahe umgefallen.«
»Sie hat mich gepackt. Sie … sie hat mich umarmt. Jedenfalls denke ich das, aber ich konnte mich nicht genug konzentrieren, um zu spüren, was sie empfunden hat. Vielleicht sollten wir es noch einmal versuchen …«
»Wir müssen weiter«, unterbrach Cal sie.
»Es hat doch nur eine Minute gedauert.«
»Eher fünfzehn«, korrigierte Fox sie.
»Aber …« Cybil löste sich von Gage. »Ist es dir auch so lange vorgekommen?«
»Nein, es ging ganz schnell.«
»Das stimmt nicht«, erklärte Layla. »Wir haben schon überlegt, ob wir euch wieder zurückholen sollten, aber wir wussten nicht genau, wie wir das tun sollten.«
»Also, es kam mir vor wie eine Minute. Und es fühlte sich nicht an wie Vergangenheit.« Cybil blickte Gage an.
»Nein, das stimmt. Wenn ich du wäre, würde ich hier niemals ins Wasser gehen.«
»Ich ziehe sowieso einen schönen Swimmingpool vor.«
»Margaritas im Bikini.« Quinn rieb über Cybils Arm.
»Frühjahrsurlaub 2000.« Cybil legte ihre Hand auf Quinns. »Es ist alles in Ordnung, Q. Mir geht es gut.«
»Ich bezahle die erste Runde Margaritas, wenn das hier vorbei ist. Können wir weitergehen?«, fragte Cal.
Er ergriff seinen Rucksack und drehte sich um. Dann schüttelte er den Kopf. »Das stimmt nicht.«
»Was stimmt nicht?«, fragte Quinn.
»Das ist nicht der richtige Weg.« Er zeigte auf den Pfad. »Die Richtung stimmt nicht.« Blinzelnd blickte er zur Sonne und zog seinen alten Pfadfinderkompass aus der Tasche.
»Hast du schon jemals daran gedacht, ihn gegen ein GPS auszutauschen?«, fragte Gage.
»Der Kompass erfüllt den Zweck genauso gut. Siehst du, wir müssen nach Westen von hier aus, aber der Pfad führt nach Norden. Eigentlich dürfte es ihn gar nicht geben.«
»Er ist auch nicht da.« Fox kniff die Augen zusammen.
»Da ist gar kein Weg, nur Unterholz und wilde Brombeeren. Er ist nicht real.« Er drehte sich und zeigte nach Westen. »Dort ist der Weg. Er ist nur schwer zu erkennen, so als ob man durch Schlamm blickt, aber …«
Layla trat zu ihm und ergriff seine Hand.
»Okay, ja. So ist es besser.«
»Du zeigst genau auf einen dicken Baum«, sagte Cybil.
»Der ist nicht da.« Fox hielt Layla an der Hand und ging mit ihr vorwärts. Das Bild der großen Eiche zerbarst, als sie hindurchgingen.
»Netter Trick.« Quinn stieß die Luft aus. »Twisse will also nicht, dass wir zur Lichtung gehen. Ich übernehme die Spitze.«
»Ich übernehme die Spitze.« Cal schob sie hinter sich. »Ich habe den Kompass.« Er drehte sich zu den anderen um. Fox in der Mitte, Gage am Schluss hinter den beiden Frauen.
Als der Weg breit genug wurde, kam Quinn neben Cal. »So muss es funktionieren.« Sie warf einen Blick zurück und sah, dass auch die beiden anderen Frauen neben ihren jeweiligen Partnern gingen. »Wir sind paarweise angeordnet, Cal, aus welchem Grund auch immer.«
»Wir gehen in irgendetwas hinein. Ich kann nicht sehen, was es ist, aber ich führe dich und die anderen direkt hinein.«
»Wir sind alle für uns selbst verantwortlich, Cal.« Sie reichte ihm ihre Wasserflasche. »Ich weiß nicht, ob ich dich liebe, weil oder obwohl du dich immer für alles verantwortlich fühlst.«
»Es ist egal,
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