Abendstern - Roman
einen Schalter umgelegt. »Er arbeitet für dich. Ich habe dazu nichts zu sagen.«
»Du hast alles Recht der Welt, ihn auszugrenzen. Ich wollte dir nur sagen, dass er nach dir gefragt hat. Er möchte dich sehen. Er ist jetzt seit fünf Jahren trocken, das ändert natürlich nichts daran, wie er dich behandelt hat. Aber das ist eine Kleinstadt, Gage, du kannst ihm nicht für immer aus dem Weg gehen. Er möchte mit dir reden, und vielleicht solltest du es einfach hinter dich bringen. Mehr nicht.«
Es hatte seinen Grund, dass Gage sein Geld mit Poker spielen verdiente. Die Miene, mit der er Cal ansah, war völlig ausdruckslos. »Ich denke, du solltest dich da raushalten. Ich habe dich nicht gebeten, dich einzumischen.«
Cal hob die Hand. »Gut.«
»Er kann es nicht wiedergutmachen, Cal. Ich will seine Entschuldigung nicht hören.«
»Okay. Ich will dich nicht vom Gegenteil überzeugen. Ich wollte es dir nur mitteilen.«
»Ja. Jetzt weiß ich es ja.«
Als Cal am Freitagmorgen am Fenster stand und beobachtete, wie das Auto näher kam, ging ihm durch den Kopf, dass es schon fast einen Monat her war, seit Quinn das erste Mal vor seinem Haus gehalten hatte.
In dieser kurzen Zeit war so viel passiert! So viel hatte sich verändert!
In dieser kurzen Zeit hatte er erfahren, dass nicht nur er und seine beiden Blutsbrüder ihr Schicksal erfüllen mussten, sondern dass auch noch drei Frauen dazugehörten. In eine hatte er sich verliebt.
Er beobachtete, wie Quinn aus Fox’ Truck ausstieg. Ihre blonden Haare quollen unter der dunklen Kappe hervor. Sie trug eine leuchtend rote Jacke und zerschrammte Wanderstiefel. Lachend sagte sie etwas zu Cybil, und er sah, wie ihr Atem in weißen Wölkchen in die kalte Morgenluft stieg.
Sie wusste genug, um Angst zu haben, aber sie ließ sich von ihrer Angst nicht beherrschen. Er hoffte inständig, das auch von sich sagen zu können, aber für ihn stand mehr auf dem Spiel. Sie stand auf dem Spiel.
Er blickte aus dem Fenster, bis er hörte, wie Fox die Haustür aufschloss, erst dann ging er hinunter.
Nebelschwaden trieben über den Weg, der in der Kälte der Nacht hart geworden war. Bis Mittag wäre er wieder
schlammig und aufgeweicht, aber jetzt kam man leicht und schnell vorwärts.
Zwischendurch lag immer noch vereinzelt Schnee, in dem Layla zu ihrem Entzücken Spuren von Rehen sah. Wenn jemand nervös war, so verbargen es alle gut, zumindest jetzt noch.
Es war ganz anders als die Wanderung damals in seiner Kindheit. Kein Radio mit wummernden Bässen, keine Erregung über den gestohlenen Tag und die Nacht, die sie unter freiem Himmel verbringen wollten.
Damals hatten sie ihre Unschuld verloren.
Er fuhr sich mit der Hand an den Nasenrücken, als ob er die Brille geraderücken müsste.
»Wie geht’s dir, Captain?« Quinn kam neben ihn und passte ihre Schritte seinen an.
»Okay. Ich habe gerade an damals gedacht. An dem Tag war es so heiß, alles war grün, und Fox hat diesen blöden Ghettoblaster mitgeschleppt. Meine Mutter hatte uns Limonade und Kuchen mitgegeben.«
»Was haben wir geschwitzt«, sagte Fox von hinten.
»Wir sind gleich an Hester’s Pool«, unterbrach Gage die Erinnerungen.
Beim Anblick des Wassers dachte Cal eher an Treibsand als an den kühlen, verbotenen Teich, in den sie damals hineingesprungen waren. Er konnte sich vorstellen, wie er immer tiefer hineingezogen wurde, bis er nie mehr das Tageslicht erblickte.
Auch heute machten sie hier eine Pause, nur dass sie jetzt Kaffee tranken statt Limonade.
»Hier war auch Wild, oder?« Layla wies auf den Boden.
»Ja«, bestätigte Fox. »Waschbären.«
»Waschbären?« Lächelnd bückte sie sich, um die Spuren aus der Nähe zu betrachten. »Was gibt es denn hier sonst noch?«
»Füchse, wilde Truthähne und ab und zu auch schon mal einen Bären.«
Layla richtete sich rasch auf. »Bären?«
»Eigentlich mehr im Norden«, beruhigte er sie, nahm ihre Angst jedoch als Vorwand, ihre Hand zu ergreifen.
Cybil hockte sich ans Ufer des Teiches und starrte ins Wasser.
»Es ist ein bisschen zu kalt, um hineinzuspringen«, erklärte Gage.
»Hester ist hier ertrunken.« Cybil warf Cal einen Blick zu. »Du hast sie gesehen, als du damals hier im Wasser warst.«
»Ja. Ja, ich habe sie gesehen.«
»Und du und Quinn, ihr habt sie beide in eurer Vorstellung gesehen. Layla hat lebhaft von ihr geträumt. Vielleicht … vielleicht bekomme ich ja etwas.«
»Ich dachte, du würdest in die Zukunft sehen, nicht in
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