Abendstern - Roman
eine Geburtsnoch eine Sterbeurkunde. Für Twisse gilt das Gleiche. Sie hätten genauso gut vom Pluto gefallen sein können.«
»Ich habe eine Freundin, die ein Ass im Recherchieren ist. Ich habe sie angemailt. Schauen Sie mich nicht so an. Ich kenne sie schon seit Jahren, und wir haben auch schon bei anderen Projekten zusammengearbeitet. Ich weiß noch nicht, ob sie sich hier beteiligen will, aber Sie können mir glauben, Sie werden mir dankbar sein, wenn sie es tut. Sie ist brillant.«
Cal schwieg. Hatte sein Widerstand etwas damit zu tun, dass er fürchtete, die Kontrolle zu verlieren? Je mehr Leute in die Angelegenheit verwickelt waren, desto stärker empfand er seine Verantwortung. Schadete es nicht der Stadt, wenn alles immer öffentlicher wurde?
»Hollow hat immer mal wieder im Mittelpunkt des Medieninteresses gestanden, deshalb sind Sie ja überhaupt darauf aufmerksam geworden. Aber das Interesse war nicht wirklich groß, und es sind höchstens ein paar Touristen mehr hierhergekommen. Ich mache mir Sorgen, dass Hollow durch Sie und jetzt auch noch zwei weitere Personen letztendlich in jedem Reiseführer erwähnt wird.«
»Sie wussten von Anfang an, dass dieses Risiko bestand.«
Sie hielt trotz des schlammigen Bodens mit ihm Schritt. Und sie ging mit ins Unbekannte, ohne zu zittern oder zu zögern. »Sie wären doch auch gekommen, wenn ich nicht einverstanden wäre.«
»Also betreiben Sie mit Ihrer Kooperation zum Teil Schadensbegrenzung.« Sie nickte. »Das kann ich Ihnen nicht übel nehmen. »Aber vielleicht sollten Sie versuchen, einmal das größere Bild zu sehen, Cal. Je mehr Leute daran beteiligt sind, desto größer ist die Chance herauszubekommen, was passiert ist. Möchten Sie denn nicht, dass es aufhört?«
»Mehr, als ich Ihnen sagen kann.«
»Ich will eine Geschichte, da brauche ich Ihnen gar nichts vorzumachen. Aber ich möchte auch, dass es aufhört. Denn ich bin zwar mutig, aber die Sache macht mir Angst. Und wir haben eine bessere Chance, den Dämon zu besiegen, wenn wir zusammenarbeiten und alle Ressourcen nutzen. Cybil gehört zu meinen Ressourcen, und sie ist echt gut.«
»Ich denke darüber nach.« Für den Moment musste das reichen, dachte er. »Erzählen Sie mir doch lieber, wie Sie darauf gekommen sind, über unheimliche Phänomene zu schreiben.«
»Das ist leicht. Ich habe Spukgeschichten schon immer gemocht. Wenn ich als Kind zwischen, sagen wir mal, Sweet Valley High oder Stephen King wählen konnte, nahm ich immer King. Ich habe früher selbst Horrorgeschichten geschrieben, von denen meine Freundinnen Alpträume bekommen haben. Das waren noch schöne Zeiten«, sagte sie, und Cal lachte. »Dann kam der Wendepunkt. Mit zwölf ging ich mit ein paar Freunden
in ein Haus, in dem es spuken sollte. Große Mutprobe. Das Haus sollte abgerissen werden, und wir hatten vermutlich Glück, dass keiner von uns durch den Fußboden gekracht ist. Wir stocherten ein bisschen herum, jagten uns gegenseitig Angst ein und lachten uns kaputt. Dann sah ich sie.«
»Wen?«
»Das Gespenst natürlich.« Sie stupste Cal freundlich an. »Von den anderen sah sie niemand. Aber ich sah sie, wie sie die Treppe herunterkam. Dann war sie auf einmal voller Blut. Sie sah mich an«, fuhr Quinn fort. »Es kam mir so vor, als blickte sie mich direkt an. Und ich spürte die Kälte, die von ihr ausging.«
»Was haben Sie gemacht? Oder darf ich raten? Sie sind ihr gefolgt.«
»Natürlich bin ich ihr gefolgt. Meine Freunde rannten herum, machten Spukgeräusche, aber ich folgte ihr durch die verfallene Küche in den Keller, und alles im Schein meiner Prinzessin-Leia-Taschenlampe. Lachen Sie jetzt bloß nicht!«
»Warum sollte ich lachen? Ich hatte eine Luke-Skywalker-Taschenlampe.«
»Gut. Also, ich fand jede Menge Spinnweben, Mäusedreck, tote Käfer und einen schmutzigen Betonboden vor. Auf einmal war der Beton weg, und da war nur noch Erde mit einem Loch - einem Grab - darin. Eine Schaufel mit schwarzem Griff lag daneben. Sie ging dorthin, blickte mich wieder an und glitt hinein, so wie eine Frau in ein Schaumbad gleitet. Dann stand ich wieder auf dem Betonboden.«
»Was haben Sie gemacht?«
»Raten Sie mal.«
»Vermutlich haben Sie sich aus dem Staub gemacht.«
»Richtig. Wie eine Rakete bin ich aus dem Keller geschossen. Ich habe es meinen Freunden erzählt, aber die haben mir nicht geglaubt. Sonst habe ich niemandem etwas gesagt, weil unsere Eltern ja dann erfahren hätten, dass wir in dem verbotenen
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