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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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draußen, als er sich auf den Rücken warf, sah er, daß sie ihm folgte.
    Am anderen Ufer liefen sie stromaufwärts, zu einem Wäldchen von Erlen und Weiden. Hier wucherte zwischen hohem Riedgras der Löwenzahn. Von einem Tümpel stieg schreiend ein Schwarm Wildenten auf. Sie lagen lange Zeit in der Sonne.
    »Ich habe in letzter Zeit viel an dich gedacht«, sagte er. »Wir beide bleiben immer beisammen!«
    »Ach du …«, sagte sie gedehnt, »schlag dir so was aus dem Sinn. Außerdem geh ich in ein paar Tagen zum Arbeitsdienst.« Sie richtete sich auf. »Vielleicht meinst du’s wirklich so«, sagte sie sanfter, »aber … das werd ich mir nie einbilden, daß so einer wie du’s ernst meint …«
    Bei diesen Worten fiel ihm eine Episode aus seiner Kindheit ein.
    Sie hatten in Leverkusen eine Villa am Rande der Stadt bewohnt. Im Kellergeschoß hauste die Portiersfamilie. Holt war vier oder fünf Jahre alt, und einmal entlief er der ewigen Aufsicht desKindermädchens und spielte mit der gleichaltrigen Tochter des Portiers, die ihn schließlich mit zu sich in die Kellerwohnung nahm. Er saß in der dunklen Küche am Tisch und spielte im Kreis der Familie »Schwarzer Peter«, bis ihn das verärgerte Kindermädchen fand. Oben mußte er baden und die Wäsche wechseln. Die Episode wäre wohl kaum in seinem Gedächtnis haften geblieben, aber am Abend ließ ihn ein Zufall mit anhören, wie seine Mutter voll Sorge zu seinem Vater sagte: »Wo hat er das her … diesen Hang zum Niederen?«
    Bei dieser Erinnerung überkam ihn die Lust, die ganze Welt herauszufordern. »Und … wenn ich dich in unseren Kreis einführe, gleich heut? Wenn ich dich meinen Freunden vorstell? Soll einer ein Wort gegen dich sagen! Gilbert und ich, wir prügeln jeden windelweich!«
    Sie lächelte flüchtig. »Jeden? … Kennst du den Meißner?«
    Meißner war seit seinem Notabitur hauptamtlicher HJ-Führer, neunzehnjährig, einer der wenigen seines Jahrgangs, der nicht schon seit langem im Wehrdienst stand, ein enger Freund des Bannführers, SS-Freiwilliger und Führer des HJ-Streifendienstes. »In ein paar Wochen wird er zur SS einrücken«, antwortete Holt, verwundert über den Gedankensprung, den ihre Frage verraten hatte. Sie sah ihn aus halbgeschlossenen Augen an. »Und … kennst du die Ruth Wagner?« Er erinnerte sich schwach. Da hatte es vor Wochen ein Gerücht gegeben, ein unklares Gerücht von einem tödlichen Unfall. »Was ist mit ihr?«
    Sie redete leise, den Kopf gesenkt, aber die dunklen Augen unverwandt auf ihn gerichtet. »Sie war Verkäuferin. Der Meißner hat sich an sie rangemacht. Das dumme Ding hat sich in ihn verliebt und hat sich alles gefallen lassen, obwohl so einer es mit uns ja gar nicht ernst meint … Aber er hat ihr sonstwas vorgeredet und daß es noch Geheimnis bleiben muß. Dann hat er sie plötzlich abschieben wollen, da war sie schon in anderen Umständen. Er hat gesagt, es ist Schluß. Er hat ihr Geld gegeben, daß sie’s wegbringen lassen kann, aber wenn sie erzählt, daß er’s gewesen ist, dann passiert was. Da ist sie zu mir gekommen. Sie war ganz verzweifelt. Und denselben Abend ist sie in den Schnellzug gestiegen. Amanderen Tag ist ihr Vater bei mir gewesen, ob ich weiß, warum sie weggefahren ist. Ich hab natürlich von nichts gewußt. Dann haben sie die Ruth gefunden, sie hat sich aus dem fahrenden Zug gestürzt, grad als der Gegenzug kam. Es heißt, es war ein Unglücksfall. Dann hat der Vater einen Brief von ihr bekommen, den sie unterwegs aufgegeben hat, und er ist zum Bann gelaufen und hat Krach gemacht. Sie haben ihn dort festgehalten, und unterdessen ist der Meißner ganz aufgeregt zu Kretschmar gelaufen, was der Chef vom SD ist. Ruths Vater ist nicht wieder nach Hause gekommen, und niemand weiß, wo er jetzt ist.«
    Er sah vor sich hin.
    Sie neigte sich zur Seite, sie brachte den Mund dicht an sein Ohr. »Siehst du, deshalb bin ich mißtrauisch bei einem wie dir.« Sie sprang auf. »Aber mach dir nichts draus, bald bin ich nicht mehr hier.«
    Er war auf einmal allein. Er glaubte kein Wort, und er glaubte doch alles. Er war entsetzt und zugleich traurig, er fühlte eine Erbitterung in sich, die in Zorn umschlug, in Zorn gegen Meißner. Er lag noch lange im Gras und dachte nach. Dann beschloß er, mit Wolzow zu reden.
     
    »Ich muß dir was erzählen«, sagte Holt, als Wolzow ihm öffnete. Dann horchte er auf. Durch die Wände drang ein seltsamer Laut, langgezogen wie das Heulen eines Hundes. »Meine

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