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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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fünfundsiebzig Millimetern, das haut die Panzerfaust durch, wenn sie günstig trifft.« Schulze befahl: »Antreten! Gewehre zusammensetzen!« Sie standen im Halbkreis um ihn herum. »Die Panzerfaust!« begann er. »Die Panzerfaust ist ein Panzerbekämpfungsmittel. Ein Panzerbekämpfungsmittel für den Infanteristen, und heißt Panzerfaust. Fahrn Sie fort, Wolzow!« Wolzow sprach konzentriert, in leicht dozierendem Ton. Schulze schrie zwischendurch: »Wiederholen Sie, Wenskat!« Wenskat war nicht dumm, aber träge, er machte: »Ha?« und wurde eine Weile über die Aschenbahn gejagt. Wolzow erklärte das Prinzip der Hohlladung; die Panzerfaust sei eine Hohlladung, die auf den Panzer geschossen werde und im Aufprall detoniere. Ob Schulze nicht länger die Rolle des Zuschauers spielen oder ob er sich die heimliche Angst abreagieren wollte, die er vor diesem Thema gehabt hatte, blieb unerfindlich. »Fallen Sie um«, schrie er plötzlich den Arbeitsmann Kranz an, »fünfzig Sachen pumpen!« Ringsum schaute man interessiert zu, wie Kranz sich abmühte und langsam ermattete.
    Unterfeldmeister Böhm trat um die Mauerecke. »Weitermachen!« Er war mittelgroß, etwa dreißig Jahre alt, und seine wäßrigen blauen Augen drückten stets Mißtrauen aus. Im Zivilberuf war er Inhaber einer Stehbierhalle in einer rheinischen Industriestadt. Auch heute sah er mißtrauisch von einem zum andern und ließ wiederholen. Es ging nicht ohne Gebrüll ab. »Holt, was erlauben Sie sich zu grinsen?« – »Herr Unterfeldmeister, meinGesicht hat gezuckt!« – »Der Bauch«, schrie Böhm, »der vollgefressene Wanst soll Ihnen zucken, so werden Sie jetzt robben! Nieder! Bis zum Wassergraben!« Holt ließ sich Zeit. Stärkt die Muskeln, dachte er verbissen. Als er zurückkehrte, war Böhm schon bei der nächsten Gruppe. Schulze erklärte mit mageren Worten die Bedienung der Panzerfaust. Wolzow führte das praktisch vor. »Werner, Sepp, Christian, aufpassen! Die Panzerfaust ist wichtiger als alles andere!« Der Unterricht endete mit der üblichen Einpaukerei. Vier Handgriffe, zehnmal wiederholt und zehnmal geübt. Erstens Sicherungsdraht lösen, zweitens Visier hochklappen … Visier hochklappen, zum Kotzen stur ist das, dachte Holt. Drittens Sicherungsschieber in Stellung »entsichert« schieben … Das hängt mir ellenweit zum Hals heraus! Viertens Feuertaste drücken, erstens, zweitens, drittens, viertens, Draht, Visier, Sicherungsschieber, Feuertaste, das vergeß ich mein Lebtag nicht mehr, und wenn ich hundert Jahre alt werde! Anschlagsarten, hinten mindestens zehn Meter frei wegen des Feuerstrahls, Rückstoß gibt’s keinen, und immer wieder erstens bis viertens, Draht bis Feuertaste, Anschlagsarten, los, zeigen Sie noch mal, jetzt Sie, jetzt Sie hier, Sie Untier, jetzt Sie noch mal, wehe, das klappt nächstens nicht, wehe! Ob man freilich trifft, dachte Holt, bleibt vorläufig unklar. Ob ich die Nerven hab, so ein Ding auf fünfzig Meter gegen einen Panzer abzuschießen?
    »Keine Sorge!« erklärte Wolzow, als es endlich vorüber war. »Wenn ein Sherman seine dreiunddreißig Tonnen gegen dich loswälzt, dann drückst du von allein ab!« – »In die Hosen!« rief Wenskat.
     
    Unterricht in der Kantine. »Der Knochenschuster!« sagte jemand. »Achtung!« Irgendwer meldete irgendwem. »Heutiges Thema für den Abteilungsunterricht: Verhütung von Geschlechtskrankheiten römisch zwei. – Hinsetzen.« Ein blutjunger Feldunterarzt trat vor die Abteilung und setzte sich nachlässig auf die Tischkante. Er begann in leichtem Plauderton. Seine Laszivität war eher zynisch als derb. Er liebte es, die übelsten Dinge im Diminuitiv zu nennen und versah sie mit niedlichen Beiwörtern, etwa so: »Waswir Ärzte den syphilitischen Primäraffekt nennen, das ist ein ganz reizendes Geschwürchen …« Wenn er jemanden zur Beantwortung einer Frage aufforderte, pflegte er ihn mit einer unverständlichen Krankheitsbezeichnung zu kennzeichnen: »Sie, ja, der Struma mit den Basedow-Augen!«
    »Wir hatten übrigens gesehen«, sagte der Feldunterarzt, »daß man sich die böse Syphilis notfalls auch auf dem Klo holen kann. Wie ist denn das nun mit dem Tripper? Kann man sich denn auch das Tripperchen auf dem Abort anlachen? Sie … ja, Sie dort, den Spund mit der blühenden Impetigo contagiosa staphylogenes mein ich, stehn Sie auf, Sie wandelnder Grind, antworten Sie!« Vorn erhob sich ein Arbeitsmann mit schorfbedecktem Gesicht und stammelte: »Nein, aber doch

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