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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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nicht, das geht nicht.« – »Das ist ein verhängnisvoller Irrtum«, sagte der Feldunterarzt. »Warum haben Sie sich übrigens nicht krankgemeldet? Sie verseuchen ja das ganze Protektorat! Setzen. Natürlich kann man den Tripper auch auf dem Klo bekommen, allerdings nur, wenn man dort mit seinem Mädchen die einschlägigen Dummheiten treibt.« Und in dieser Tonart ging es weiter …
    Morgen Revierreinigen, Zeugputz und so weiter, dachte Holt, da ist ein Spindappell fällig, und ich muß die Parabellum verstecken. Bloß früh nicht auffallen, sonst muß ich nachmittags die Latrine scheuern! Wäsche tauschen, vielleicht rückt der Kammerchef neue Fußlappen raus …
    Die Stunde ging zum Glück rasch vorbei. Händewaschen, Anzug säubern, Eßbesteck, Haare kämmen, Fingernägel, womöglich steht Böhm am Eingang und läßt sich die Hände zeigen … »Raustreten zum Mittagessen!« Tatsächlich, Böhm stand an der Tür: »Zeigt eure Krallen her!« Holt durfte passieren, hinter ihm ging das Gebrüll los: »Ist denn so was möglich, o Gott, diese Toppsau! Scheren Sie sich zur Hölle!«
    Zwei Trupps aßen zusammen an einem langen Holztisch, dreißig Mann, eng aneinandergedrückt. Der Stubendienst schleppte Waschschüsseln voll Pellkartoffeln heran, einen Eimer graubrauner Soße, in der undefinierbare Fleischfetzen schwammen. »Achtung!« Der Abteilungsführer, Oberfeldmeister Lesser, gefolgt vonFeldmeister Böttcher, stapfte zwischen den Stuhlreihen hindurch zu seinem Tisch, wo er gemeinsam mit den Zugführern aß. »Tischspruch!« Aus einer Ecke brüllte jemand auf sächsisch: »Kartoffeln mit Soße und Zwiebeln dazu, das läuft durch die Hose bis in die Schuh!« Der Oberfeldmeister lachte, dann rief er: »Alle Mann …« – »… ran!« brüllte die Abteilung.
    Holt fand das Essen miserabel, aber er hatte Hunger und aß große Mengen Kartoffeln.
    Es war üblich, beim Essen ekelerregende Dinge zu erzählen, und es galt als Zeichen soldatischer Tugend, dessen ungeachtet weiterzuessen.
    Böhm trat in die Kantine, einen dicken Packen Briefe unter dem Arm. Heute muß für mich was dabei sein, dachte Holt. Er hatte bisher vier Briefe von Gundel erhalten. Böhm verteilte die Post an die Truppführer. Holt schielte auf Schulze. Der setzte sich wieder und legte die Briefe mitten in die Kartoffelschalen und Soßenflecken hinein. Auf der Stube teilte er aus.
    Holt sah auf die Uhr: gleich eins. Er zog einen Schemel ans Fenster und brannte sich eine Zigarette an. Er riß ungeduldig den Umschlag auf. Als er letzthin an Gundel schrieb, hatte er sich gehenlassen. Es gab Tage, da ihn Schikane, Gebrüll und Drill zur Verzweiflung trieben. In einer solchen Stimmung hatte er sich Gundel anvertraut. Zu Mutlosigkeit und Bedrückung hatten sich trübe Erinnerungen gesellt, und das Ergebnis waren konfuse und abstrakte Worte gewesen, die ihn am anderen Morgen reuten.
    Nun überflog er ihre Zeilen; ganz am Ende stand: »Ich kann verstehen, daß du manchmal traurig bist.«
    Ihre Handschrift war kindlich und wenig ausgeschrieben. In den ersten beiden Briefen war ihr sprachlicher Ausdruck ungeschickt und holpernd gewesen, aber nun schrieb sie so unbefangen, wie sie gesprochen hatte. »Lieber Werner, stell Dir vor, was ich gestern erlebt habe! Beim Einkaufen hat mich eine Dame angesprochen.« Erst hatte es »Frau« geheißen, aber das Wort war durchgestrichen. »Sie hat ihren Namen genannt: Gomulka.« Seltsam! Holt las gespannt weiter: »Dann hat sie gefragt, ob ich nicht einen Augenblick Zeit habe. Auf der Straße sagte sie, Du bist einguter Freund von Sepp. So heißt ihr Sohn. In der Badeanstalt hattest Du mir erzählt, daß Deine Freunde Gilbert und Sepp heißen. Da habe ich ihr geglaubt. Du sollst Frau Gomulkas Mann erzählt haben, daß Du bei uns gewesen bist und daß es Dir gar nicht gefallen hat. Auch die Leute nicht. Wenn Du das erzählt hast, mußt Du Herrn Gomulka ja sehr gut kennen. Dann hat sie gefragt, was ich in meiner Freizeit mache. Und ob ich sie nicht einmal besuchen will? Sie war sehr nett. Ich weiß gar nicht, warum. Sie hat gesagt, leider hat sie keine Tochter, so ein junges Mädchen wäre ihr schon recht, manchmal am Abend, und auch sonntags. Als Besuch. Wenn ich nicht will, erzählt sie auch keinem davon, und ich kann vom Hügelweg durch die Gärten kommen, daß es keiner sieht. Ich habe gesagt, daß ich es mir überlegen muß, aber vielleicht komme ich doch einmal, wenn es ihr wirklich recht ist. Lieber Werner, Du mußt mir

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