Abenteuer des Werner Holt
schreiben, ob ich hingehen soll und was es für Leute sind. Du weißt ja, warum ich mit vielen nichts zu tun haben will.«
Was haben Gomulkas für Gründe, Gundel einzuladen? Menschenfreundlichkeit? Holt erinnerte sich: … das Mädchen ist nicht so völlig verlassen, wie Sie glauben … Sie habe viel Arbeit, schrieb sie, aber sie sei das Anpacken ja gewöhnt. Die Kinder machten doch Freude, obwohl sie frech zu ihr seien, denn sie habe Kinder gern, auch freche. Die Bitte um eine Photographie könne sie ihm nicht erfüllen, denn sie habe keine. Dann jener Nachsatz und am Ende der Wunsch: »Schreib mir bald wieder, wenn es Dir nicht zuviel Mühe macht.«
»Fertigmachen zum Raustreten!« Holt sagte zu Gomulka: »Lies mal, Sepp?« Er hatte Gomulka Gundels Schicksal erzählt. Gomulka nahm den Brief. »Warum lädt deine Mutter sie ein?« fragte Holt. »Was weiß ich?« entgegnete Gomulka.
2
Das Antreten zog sich in die Länge. Der Abmarsch zum Scharfschießen verzögerte sich. Oberfeldmeister Lesser ließ auf sich warten. Ein Kradmelder war ins Lager gerollt, nun hieß es, derChef telefoniere. Die Abteilung stand Gewehr bei Fuß, Gerüchte machten die Runde, Feldmeister Böttcher und die Zugführer wurden vom Appellplatz weg zur Schreibstube gerufen. Auf einmal war es kein Gerücht mehr: Einsatz!
Die nächsten Stunden ging im Lager alles drunter und drüber. Schulze schrie: »Wolzow, Wenskat, Holt, Gomulka, Huber … mitkommen!« Sie holten drei Kisten Patronen. Während in der Stube scharfe Munition verteilt wurde, meckerte Vetter: »Zweihundert Schuß pro Mann, wer soll denn das schleppen?« Aber Wolzow wies ihn zurecht.
Am frühen Abend stand die Abteilung marschfertig. Holt stützte sich auf den Karabiner. Der Tornister drückte. Am Koppel lasteten die gefüllte Patronentasche, Seitengewehr, Infanteriespaten, Gasmaske, Brotbeutel und Feldflasche. Die Armbinden mit dem Hakenkreuz waren befehlsgemäß von den Uniformen abgetrennt worden. Oberfeldmeister Lesser trat vor die Front. »In der verbündeten Slowakei«, schrie er, »wollen die Feinde des Reiches, unterstützt von bolschewistischen Fallschirmspringern, der schwer ringenden Front in den Rücken fallen! In einem Aufruf hat der slowakische Staatspräsident erklärt, daß der Abschaum der Gesellschaft aufgeboten worden ist, um in der Slowakei ein Chaos zu entfesseln und den Boden reif für den Bolschewismus zu machen! Da die slowakischen Kräfte zu schwach sind, hat Staatspräsident Tiso den großen deutschen Verbündeten um Truppen zur Niederwerfung der Bolschewistenhorden gebeten.« Er stand breitbeinig vor der Front, die Brauen zusammengezogen. »Wir übernehmen Wachdienste und unterstützen die Kampftruppen bei Verlade- und Entladearbeiten, gegebenenfalls natürlich auch im Kampf. Jetzt könnt ihr zeigen, was ihr gelernt habt.« Der dicke Feldmeister Böttcher übernahm das Kommando und ließ die drei Züge abrücken. Auf dem Bahnhof standen Viehwaggons bereit.
Die Maschine dampfte langsam aus der Station, dann stand der Zug viele Stunden in der Nacht. Holt schlief, in eine Decke gewickelt, auf dem harten Boden. Am nächsten Tag hielt der Zug abermals viele Stunden auf freier Strecke. Ein Gerücht lief vonWagen zu Wagen: »Der Lokführer ist getürmt!« Gomulka lachte unterdrückt. Am Nachmittag ging es endlich weiter. In der folgenden Nacht blieb der Zug mit einem Ruck stehen, so daß die Arbeitsmänner durcheinanderrollten. Draußen war Geschrei, schon krachten ein paar Schüsse. »Raus!« schrie Wolzow. Holt sprang mit dem Karabiner in die Nacht. Vorn blitzten Schüsse. Wolzow schoß stehend ins Dunkel. Bei der Maschine brüllte jemand wie besessen: »Stopfen! Stoooooopfen!« Das Licht einer Taschenlampe huschte über die Gleise. Wolzow lief nach vorn, wo nun ein rotes Signallicht leuchtete. Oberfeldmeister Lesser brüllte: »Ihr wahnsinnigen Säcke! Ihr verdammten Idioten!«
Die Arbeitsmänner standen auf dem Bahnkörper neben dem Zug. Wolzow berichtete: »Eine Brücke. Natürlich bewacht. Da zeigen die Posten ein Langsamfahrt-Signal, der Lokführer hält, die Posten im ersten Wagen knallen gleich wild drauflos. Da haben die Brückenposten natürlich zurückgeschossen, die wußten auch nicht mehr, was gespielt wird.« Die Maschine zog ruckend an, alles kletterte durch die Schiebetüren in die Wagen. Holt sah auf der Brücke ein paar Gestalten stehen, Gewehre umgehängt. »Ist was passiert?« – »Komischerweise nicht«, sagte Wolzow, »aber
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