Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
Vom Netzwerk:
ihm hin, dann schaute sie wieder geradeaus, aber sie erwiderte seinen Gruß, indem sie flüchtig mit dem Kopf nickte.
    Na also! dachte Holt befriedigt, sie kann unterscheiden zwischen denen und meinesgleichen!
    In der folgenden Nacht stand er mit Wolzow an der Eisenbahnbrücke Posten. »Horch!« sagte Wolzow. In der Ferne grollte schwerer Kanonendonner. Es war gegen drei Uhr, die schmale Mondsichel stieg über die Berge. Holt fröstelte. »Hört sich an wie eine richtige Schlacht!« Wolzow entgegnete: »Aus dem Gebirgeholt die so schnell keiner raus! Berge bis zweitausend Meter … da schaffst du nur mit Brachialgewalt Ordnung!« Holt erwog, Wolzow zu fragen, was es mit jenem »Kommissarbefehl« auf sich habe, aber irgend etwas hielt ihn zurück, die wachsende Entfremdung, eine unerklärliche Scheu … Das Geschützfeuer blieb bis zum Morgen hörbar. Als sie am Mittag in die Stadt zurückkehrten, hielten vor der Schule ein paar verdreckte Lastwagen. Auf dem Hof lagerten etwa zweihundert SS-Leute, zwischen Gewehrpyramiden und Gepäckstücken. Wolzow setzte sich zu ihnen. Dann brachte er Neuigkeiten. »Von wegen in acht Tagen Schluß«, sagte er, »das war eine Illusion! Überall geht’s los, das halbe Land ist in Aufruhr, ganz in der Nähe haben sie eine Garnison niedergemacht. Die SS ist ganz schön abgekämpft. Die Partisanen, sagen sie, sind nicht schlechter als reguläre Truppen, manchmal noch zäher, weil ihnen die SS grundsätzlich den Pardon verweigert. Die Russen schmeißen ihnen Waffen ab, die Partisanen sind mitunter besser bewaffnet als die SS, alle mit Maschinenpistolen. Bin gespannt, wann es hier bei uns losgeht.« Vetter erzählte: »Der erste Zug hat heut vormittag in der Stadt Haussuchungen nach Waffen gemacht. Gefunden haben sie nichts!«
    Am frühen Nachmittag rückte die SS ab. Im Haus blieben nur der Wachtrupp vom dritten Zug und Schulzes Trupp, der nach der Brückenwache dienstfrei hatte. Die Arbeitsmänner lagen im Stroh und schliefen. Aber Holt litt es nicht im Zimmer. Er schlenderte ziellos über den Hof und in den Schulgarten.
    Dort traf er die blonde Slowakin. Sie schleppte einen großen Korb, der mit Holz gefüllt war, mit Ästen und Reisig. Holt sagte: »Lassen Sie mich das tragen!« Er nahm ihr den Korb ab und trug ihn zum Schulhof. Er fragte über die Schulter: »In den Schuppen?« – »Ja.« Sie versteht also doch Deutsch, dachte er überrascht. Sie schloß die Tür auf. Er setzte den Korb in einer Ecke ab, wo viel Holz auf einem Haufen lag. Sie war ihm gefolgt und sagte freundlich: »Danke.« Er richtete sich auf. Er war verwirrt, denn sie stand nahe bei ihm. Er faßte sie plötzlich an den Schultern und zog sie an sich, aber da schlug sie ihn mit solcher Heftigkeit ins Gesicht,daß er taumelte. Wut stieg in ihm auf. Er dachte eine Sekunde lang an Gewalt. In seinem Inneren sagte eine Stimme: Etwas davon ist auch in dir! Die Scham schlug wie eine Welle in ihm hoch.
    Das Mädchen hatte den Hackklotz zwischen ihn und sich gebracht, hatte das Handbeil herausgerissen und stand nun lauernd, nach vorn geneigt. Mit der Rechten umklammerte sie den Schaft des Beiles, während sie langsam den linken Arm hob und zur Tür wies. Sie sagte nur ein einziges Wort: »Hinaus!« Er wollte eine Entschuldigung stammeln, eine Rechtfertigung, etwas von einem Mißverständnis, aber aus ihren Augen traf ihn ein Blick so abgründigen Hasses, daß er wortlos den Schuppen verließ.
    Er ging in den Garten. Er sah das Mädchen rasch über den Hof laufen, zum Gartenhaus hin, sie trug noch immer das Beil in der Hand. Aber das alles drang gar nicht in sein Bewußtsein. Im Schulgarten stand er wie geistesabwesend zwischen den Sträuchern. Er versuchte, dieses erstickende Gefühl der Scham loszuwerden. Er dachte: Die soll sich nicht aufspielen! Schließlich bin ich ein Deutscher, und sie … Da wuchs das Schamgefühl ins Unerträgliche. Sein Gesicht brannte, wie vom Feuer versengt.
     
    3
     
    Drei Tage später hielt Trupp Schulze wieder Quartierwache. Holt saß in der Wachstube, als Schulze das Zimmer verließ und die Stufen hinab zur Hoftür ging. Ein paar Minuten später brüllte Böhm vom Kellereingang her: »Schulze … Schulze!« brüllte er noch einmal. Wenskat trat ins Wachlokal und sagte grinsend: »Der Schulze hört jetzt nischt, der ist der Kleinen in den Garten nachgeschlichen, dem hing richtig die Zunge raus!«
    Das traf Holt wie ein Schlag. Aber da stand Böhm in der offenen Tür: »Pennt denn die ganze

Weitere Kostenlose Bücher