Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
Vom Netzwerk:
saß, wachte auf. »Das klingt mir ’n bißchen liberal.« – »Gar nicht«, widersprach Holt. »Keiner weiß, ob er wiederkommt, und da will sich halt jeder vom Speck noch ein ordentliches Stück abschneiden.« Meißner schwieg. Dann sagte er mit geschlossenen Augen, den Kopf rücklings an die Balken des Sprungturmes gelegt: »Daß ihr alle den Geist unserer Zeit nicht begreifen könnt! Ein Stück vom Speck abschneiden … Was ist das für ein jüdischer Standpunkt! Es geht um das Reich, und ob der einzelne auf seine Kosten kommt, ist völlig bedeutungslos. Wer heute darauf ausgeht, sein Leben zu genießen, der verrät Deutschland! Und das Reich als Ganzes, mein Lieber, das kommt schon auf seine Kosten! Es wächst und erstarkt …« – »Vielleicht hast du recht, aber ich brauch keinen Unterricht, ich hatte zwei Jahre lang das beste Fähnlein im Stamm! Aber daß man sein Leben nicht genießen darf, das sag mal nicht so laut!« – »Ich habe nicht von der Masse, sondern von uns Führernaturengesprochen«, erläuterte Meißner. – »Mit den Führernaturen allein kannst du aber keinen Krieg führen.« Meißner verzichtete auf eine Erwiderung. Er saß noch eine Weile in der Sonne, dann ließ er Holt und Wiese allein.
    »Was sitzt du mit … dem zusammen?« fragte Holt, und Wiese entgegnete, beinahe entschuldigend: »Er hat sich zu mir gesetzt …« – »Was meinst du …?« fragte Holt. »Ob ich mit ihm fertig würde?« – »Er ist älter … aber ich glaub schon«, antwortete Wiese, etwas erstaunt, und da Holt nichts weiter sagte, begann er schließlich: »Du hast ihn richtig veralbert! Ich denke manchmal, du könntest der beste Schüler in der Klasse sein, wenn du nur wolltest! Warum lernst du nicht?«
    »Lernen ist nichts für Männer. Ich will endlich in den Krieg.« Er dachte nicht daran, daß seine Worte Peter Wiese kränken mußten.
    »Da erfährt ein reicher Mann eines Tages«, sagte Wiese nachdenklich, »daß er Schwindsucht hat. Die Ärzte sagen: Keine Rettung, noch ein Jahr! Alle Ärzte sagen ihm dasselbe. Da denkt er: Gut. Und nun bringt er sein Vermögen durch, bis auf den letzten Pfennig. Als das Jahr herum ist, da ist ein Wunder geschehn. Er ist gesund. Und steht vor dem Nichts.«
    Ein dummes Beispiel, dachte Holt ärgerlich, ein echtes Miesepeter-Beispiel! Was interessiert mich das Nachher? Jetzt ist Krieg! Er zwang sich zu einer freundlichen Antwort. »Ich versteh dich«, brummte er.
    »Und das Komische ist«, sagte Wiese leise, »daß ich dich beneide! Ich gäb was drum«, fuhr er dann fort, und es klang unglücklich, »wenn ich dein Freund sein könnte. Aber da muß man wohl sein wie der Wolzow. Ich war immer der Schwächste, ich hab immer gedacht: Meine Waffe ist der Geist … Aber eigentlich bist du auch klüger als ich.«
    Komisch, dachte auch Holt. Er sagte: »Ich hab bei Nietzsche gelesen: ›Unser Glaube an andere verrät, worin wir gerne an uns selber glauben möchten … Unsere Sehnsucht nach einem Freunde ist unser Verräter …‹«
    »Ja … so ist das … Ich möcht auch raufen und prügeln können,frech sein, aber … ich bin vom Ernteeinsatz zurückgestellt, und mit der Flak wird es auch nichts …« – »Wir können ja trotzdem Freunde sein«, antwortete Holt, ein wenig gerührt. Er überlegte … Nein, kommt nicht in Frage. Aber … »Kannst du schweigen, Peter?« – »Ja, für dich hab ich sogar schon gelogen!« Holt hielt Wiese die Hand hin. »Ich hab Vertrauen zu dir. Wolzow, ich und noch wer, wir haun ab … Bis zur Einberufung verschwinden wir. Aber du und ich, wir werden uns ab und zu treffen. Auch Gilbert darf es nicht wissen. Du sagst mir, was los ist in der Stadt und wie man über unser Verschwinden denkt.«
     
    »Komm mit zu mir«, sagte Wiese später, mit einem Blick auf die Armbanduhr. Holt wunderte sich, daß Wiese bei dieser Hitze einen schwarzen Anzug, Schlips und Kragen trug. Als er den Grund erfuhr, bei Wieses in der Diele, war es zu spät, sich zurückzuziehen. Wieses Schwester hatte Geburtstag. »Bleib!« bat Peter. »Ich werde nachher vorspielen!«
    Holt kam sich lächerlich vor, in kurzer Lederhose und buntem Sporthemd; sein Haar, noch immer feucht vom Baden, stand zu Berge. In dem großen Raum waren die Glastüren zum Wintergarten und zur Veranda geöffnet, man blickte in den Garten hinaus. Um den Teetisch saßen Gäste. Holt war sehr befangen und sah nur das Bunt der Kleider und dazwischen eine schwarze Panzeruniform. Duft von Parfüm drang auf ihn ein,

Weitere Kostenlose Bücher