Abenteuer des Werner Holt
der Geruch von Zigaretten und Blumen. Wieses Schwester Helga sah ihrem Bruder ähnlich; denn auch sie war klein und zierlich, und das dunkelblonde Haar fiel in ein kränkliches blasses Gesicht. Sie wurde neunzehn Jahre alt.
Wiese stellte Holt vor. Holt murmelte ein paar Gratulationsworte und stand trotzig auf dem bunten Teppich. Die Unsicherheit schärfte seine Sinne, nichts entging ihm: Frau Wiese, in ihrem Sessel, tauschte einen Blick mit dem blonden Mädchen, das neben dem Panzerleutnant saß, und der Mund des blonden Mädchens zuckte belustigt.
Namen wurden genannt. Uta Barnim, Leutnant Kiefer, ihr Verlobter, und so fort. Man bot Holt Platz an, links neben ihm saßFrau Wiese, der Teetisch trennte ihn von Uta Barnim. Helga Wiese schenkte Tee ein. Holt verlor alle Befangenheit. »Wenn ich geahnt hätte, daß hier Geburtstag ist«, sagte er, »ich hätte noch schnell ein paar Blumen geklaut … besorgt, mein ich.« Das Lachen störte ihn nicht. Er sagte: »Blumen
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kann schließlich jeder! Geklaute sind viel wertvoller.« Frau Wiese sagte: »Wir nehmen den guten Willen für die Tat.«
Mittelpunkt war Uta Barnim, die älteste Tochter des Obersten Barnim, an dessen Haus Holt allmorgendlich vorbeiging. Wie sie groß und aufrecht an der Verandatür saß, im Licht der Nachmittagssonne, so hatte er in seiner Phantasie Kriemhild gesehen, in Agnes Miegels »Nibelungen«, oder auch Hildegard, die Grafentochter, im »Nest der Zaunkönige« … Er blickte rasch auf den Panzerleutnant, der ihn sonst vielleicht vor allen anderen interessiert hätte. Die anderen Mädchen sah er nicht, neben ihr, neben Uta.
Peter Wiese saß am Flügel und blätterte in den Noten. Er spielte eine Haydn-Sonate und dann seine Lieblingsstücke, verträumte und schwermütige Kompositionen von Schumann. Immer wieder sah Holt verstohlen auf Uta. Der dritte Satz, Allegro moderato? Alle räuspern sich, wie komisch! Ob sie vielleicht an mich denkt, jetzt, wie ich an sie? Ob man es fühlt, wenn die Gedanken einander begegnen? Ob es bei ihr anders wäre als an jenem Vormittag in der Kabine?
Man applaudierte. Der Leutnant flüsterte Uta Barnim ein paar Worte zu. Fatzke! dachte Holt. »Ja, danke.« Er nahm noch Tee. Eigentlich sollte ich gehn, dachte er, aber er blieb. Peter Wiese klappte den Flügel zu.
»Du hast dich in letzter Zeit vervollkommnet«, sagte Frau Wiese sanft. »Aber es wäre uns lieber, wenn du weniger üben und fleißiger trainieren würdest.« Die Freude in Peter Wieses Gesicht erlosch. »Es ist uns sehr unangenehm, daß du auch dieses Jahr für den Ernteeinsatz untauglich bist«, fuhr Frau Wiese noch sanfter fort. »Herr Holt, vielleicht können Sie Peter ein bißchen mitreißen, Sie sind sehr sportlich, ich habe von Ihren Streichen gehört, aber Sie verbringen doch wenigstens Ihre Freizeit durchwegan der Luft.« – »Na, wissen Sie, gnädige Frau«, sagte Holt, »das hat sich auf mein Zeugnis nicht günstig ausgewirkt.« Man lächelte. »In den Zeiten, in denen nicht der Geist, sondern die Faust entscheidet«, sagte Leutnant Kiefer mit heller Stimme und erhobenem Kinn, »da ist das Einpumpen sogenannter Weisheit völlig überflüssig. Der Führer verlangt, den jungen Leib zu stählen und hart zu machen, auf daß ihn das Leben nicht zu weich finden möge.« Uta, neben ihm, sah durch die offene Verandatür ins Freie, als höre sie nicht zu.
Frau Wiese ließ die »jungen Leute« allein. Sie gab Holt die Hand. »Ein Junge wie Sie wäre ein Freund für Peter. Mein Mann wünscht, daß Peter unter allen Umständen wehrdiensttauglich wird. Sie müssen ihn nur richtig im Wasser untertauchen und umherhetzen mit Ihren Freunden, das tut ihm gut!« Sie verließ bald den Raum. »Man soll den Bock nicht zum Gärtner machen«, sagte Holt vergnügt. »Ich bin moralisch unreif, das hab ich schriftlich im Zeugnis.« Uta, vielleicht zum erstenmal, sah ihn an.
Der Leutnant ging mit Wieses Schwester in den Garten hinaus, zwischen den Rosenstöcken entlang, und fragte über die Schulter nach dem Namen des Klassenlehrers. »Na ja, Maaß kennt man doch!« Holt lief auf einmal allein an der Seite Utas. Sie war nur wenig kleiner als er. Sie fragte: »Wie kommen Sie zu einer so verheerenden Beurteilung?« Die Frage war der blanke Spott. »Alles halb so wild«, antwortete Holt. Ihr Spott ärgerte ihn und machte ihn unsicher. »Die Lehrer wissen nichts von uns. Die wahren Gedanken errät ja keiner.« – »Sind die wahren Gedanken so fürchterlich?«
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