Abenteuer des Werner Holt
hören. Aber wenn Sie es nicht genau wissen, gibt es Nichtgenügend.«
Wolzow sah den Wachtmeister mit zusammengekniffenen Augen und schräggelegtem Kopf an. »Herr Wachtmeister, kann ich vorher noch was anderes sagen?« – »Da bin ich aber gespannt«, meinte Gottesknecht. Wolzow blinzelte mit den Augen. Sein Kopf schob sich langsam vor. »Ich hab das niemals gelernt. Die vorgeschriebenen Worte kenn ich nicht. Wenn Sie gerecht sind, dürfen Sie nur achtgeben, ob meine Erklärung sachlich richtig ist.« Auf Schmiedlings Stirn standen Schweißtropfen.
»Wenn ich gerecht bin, darf ich …«, wiederholte Gottesknecht träumerisch. Dann sagte er: »Fangen Sie an.«
»Die Mündungsbremse«, begann Wolzow konzentriert, in einem Tonfall, als habe er ein Gedicht aufzusagen, »die Mündungsbremse ist an der Rohrmündung angeschraubt und wird beim Abschuß vom Geschoß durchlaufen. Während der Geschoßboden die vordere Öffnung der Mündungsbremse zeitweilig verschließt, sind die hinter dem Geschoß herstürmenden Pulvergase, in ihrem Bestreben, sich auszudehnen …«
Jetzt verheddert er sich, dachte Holt.
»… gezwungen, durch seitlich in der Mündungsbremse angebrachte Öffnungen auszutreten. Diese Öffnungen sind in einem Winkel in die Mündungsbremse eingeschnitten, der, in Schußrichtung gesehen, nach hinten weist. Das heißt«, sagte Wolzow nun siegessicher, »die Pulvergase verlassen die Mündungsbremse schräg nach hinten und erteilen so dem Rohr einen nach vorn gerichteten Impuls, welcher einen Teil des Rückstoßes auffängt.«
Schmiedling atmete tief und erleichtert auf. Gottesknecht sah Wolzow an, Wolzow gab den Blick zurück.
»Aufs Haar richtig«, sagte Gottesknecht. Er zog das Notizbuch. »Note eins … Aber Sie haben meinen Gerechtigkeitssinn herausgefordert, Wolzow, und so kann ich’s nun doch nicht auf sich beruhen lassen, daß sich ein Luftwaffenhelfer zum Leutnant macht, um einen Wagen zur Bahn zu bekommen.«
Wolzows Gesicht wurde blaß.
»Sie werden sich also jeden Abend pünktlich einundzwanzig Uhr melden, um mir die Schuhe zu putzen. Sie werden zugeben, daß die Strafe gerecht ist.«
Schweigen.
Dann Wolzow: »Herr Wachtmeister, Sie werden zugeben, daß Sie nicht befugt sind, persönliche Dienstleistungen als Strafe zu verhängen. Ich bitte um eine Bestrafung, die den militärrechtlichen Vorschriften entspricht.«
Das geht schief, dachte Holt.
»Wolzow«, sagte Gottesknecht, »ich hätte Lust, Ihnen noch eine Eins zu geben für soviel Mut. Aber das kann kein Mut sein. Das ist Unkenntnis! Sie wissen nicht, was Sie sich antun!« Und nun mit anderer, mit beiläufiger, üblicher Stimme: »Sie melden sich nach Dienstschluß bei mir zur Bestrafung.«
»Jawohl, Herr Wachtmeister!«
Gottesknecht sagte nur noch freundlich: »Weitermachen!«, dann verließ er den Geschützstand. Kaum war er außer Sichtweite, atmete Schmiedling so hörbar auf, daß Holt dachte: Warum hat er solche Angst? Er hat als Ausbilder doch nichts zu fürchten.
»A böse Sach, Wolzow, die was S’ Ihnen sich da eben einbrockt ham!«
»Ach scheiß …«, sagte Wolzow mit einer wegwerfenden Handbewegung.
Granatpatron-Munition, Sprengringe, Zünder … Zeitzünder S 30, maximale Laufzeit dreißig Sekunden … in den Patronen Diglykolröhrenpulver … das war der Rest des heutigen Pensums.
Dann trafen sich die Jungen vom Geschütz und Feuerleitgerät in der Kantine, der früheren Gaststätte des Stadions, wo die Oberhelfer der anderen Batterie noch beim Essen saßen. Auf den rohenHolzplatten häuften sich Kartoffelschalen, dazwischen lagen Zigarettenstummel und Knochenreste. Wolzow fegte mit einer Handbewegung den Unrat vom Tisch, ein paar Oberhelfern auf die Knie. Den Protest erstickte er mit der Drohung: »Halt’s Maul, sonst kracht’s!«
Es gab Pellkartoffeln und eine dünne Soße, in der ein paar Fleischstücke schwammen. »Mies, saumies!« maulte Vetter. Zemtzki, Schenke und Grubert, die am Feuerleitgerät ausgebildet wurden, saßen in der Nähe und warfen mit unverständlichen Begriffen um sich, Höhenvorhalt, Grundstufe, Gebrauchsstufe … Sie taten ungeheuer wichtig. Zemtzki erzählte: »Ich bin am E-Messer … Die Meßoptik vergrößert vierundzwanzigfach!« – »Quatsch nicht rum, wen interessiert das schon?« sagte Wolzow. »Wer etwas auf sich hält, der geht ans Geschütz!«
Am Nebentisch wurde immer noch von einem »Handstreich« in Italien erzählt, von einem Telefongespräch zwischen Hitler und
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