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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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Zigarette an, »Dehli« hieß die Sorte, und betrachtete nachdenklich die grüne Schachtel. »Tja, Sepp … Die sogenannten Blutsbande sind eigentlich recht dünn. Da gibt’s fremde Menschen, die einem viel näher stehen!«
    Das Zigarettenpäckchen war schon am zehnten in Holts Hände gelangt. Pünktlich am elften brachte die Post ein winziges Päckchen von Uta. Das überraschte Holt. Er konnte sich nicht erinnern, ihr jemals sein Geburtsdatum genannt zu haben. Aus der Verpackung löste sich ein kleines, in Seide gebundenes Büchlein, Gedichte von Friedrich Hölderlin. Er überflog den beiliegenden Brief. Ihre Freundin Helga Wiese, so schrieb sie, habe diese Gabe »dürftig« genannt, denn ein Rollschinken, gut geräuchert, finde bei den Kriegern weit mehr Sympathie als ein Bändchen Gedichte. Aber sie kenne ihn als eine poetische Natur, die geistige Genüsse vorziehe. Holt lachte. Aber er verstummte beschämt, als er weiterlas. Einiges aus diesem Buche gehöre zu ihren Lieblingsgedichten. Auch sei das Bändchen nicht ganz ohne Egoismus ausgewählt. »Vielleicht denkst Du bei manchem Vers an mich.« Er blätterte wahllos in den Seiten. »Ist nicht heilig mein Herz, schöneren Lebens voll, seit ich liebe?«
    Gomulka saß dabei und beobachtete Holt unverwandt. Dann stand er auf und ging aus der Stube. Eine Welle eisiger Kälte fuhr hinter ihm zur Tür herein. Holt fröstelte.
    Aber am späten Nachmittag, als Frau Ziesche anrief, gratulierte und fragte, ob es dabei bliebe, sie gedenke es ihm riesig gemütlichzu machen, da lief er doch zur Schreibstube. Gottesknecht gab ihm die Erlaubnis, am Abend in die Stadt zu gehen. Doch kaum war die Dunkelheit hereingebrochen, klingelte die Alarmglocke, und Holt saß bis zum Morgen am Geschütz.
    Wieder einmal suchten die Bomber Ausweichziele. Etwa hundert Viermotorige schütteten ihre Last über Bottrop aus, und dann fielen auch auf das nördliche Essen Bomben, vorwiegend Luftminen und Brandbomben, und das Rot des Feuers schlug zum frostblauen Nachthimmel empor. Wolzow kletterte auf die Erdumwallung des Geschützstandes und starrte in das brennende Häusermeer. »Verdammt, dort beklagt sich jetzt keiner mehr, daß ihm zu kalt ist!« Man lachte, ein grimmiges, kurzes Lallen. Einer der Flakwehrmänner hielt in der Arbeit inne. »Rotzjunge! Deine Leute sind ja nicht drin in den Flammen!« Wolzow sprang in den Geschützstand, aber Holt faßte ihn am Arm. »Gilbert, gib Ruhe!«
    Drei Tage später hatte Frau Ziesche Geburtstag. Zu seinem Kummer fand Holt die Wohnung voller Schauspieler und Ballettmädchen. Er war verärgert. Frau Ziesche setzte sich für zehn Minuten zu ihm und redete beruhigend auf ihn ein. »Ich kann’s nicht ändern. Rausschmeißen geht nicht. Laß nur, ich finde schon eine Möglichkeit, daß wir wieder ein paar Tage für uns haben.« Er trank vor Ärger viel französischen Rotwein, von dem Frau Ziesche einen unerschöpflichen Vorrat zu besitzen schien, auch holte er sie absichtlich nicht zum Tanz und tobte mit den beschwipsten Choristinnen herum, lustlos und immer mehr mit sich uneins. Er fühlte sich fremd zwischen diesen Menschen, und auch Frau Ziesche war fern und fremd. Unvermittelt brach er auf. Er verabschiedete sich flüchtig. Sie flüsterte ihm ungehalten zu: »Warte doch! Bei Voralarm werf ich alle raus!«
    – »Ich muß in die Stellung«, sagte er trotzig. Sie sah ihm mit hochgezogenen Brauen nach. Voller Genugtuung glaubte er, sie gekränkt zu haben.
    Auf dem dunklen Korridor überraschte er einen schnurrbärtigen Mann, der sich mit einem Chormädchen herumdrückte. Holt zog sich den Mantel an. Der Schnurrbärtige sagte weinselig: »Schon gehen, Kamerad?« – »Ich bin nicht Ihr Kamerad«, sagteHolt verächtlich. Der andere, in Zivil, sang: »Heute rot … morgen tot … Unser ›Großdeutschland‹ … Sie haben ihn doch auch gekannt, der Panzergrenadier … gefallen!« Holt warf die Vorsaaltür hinter sich ins Schloß. Fast zwei Wochen lang hörte er nichts von Frau Ziesche, dann rief er doch wieder bei ihr an.
     
    Die Frostperiode dauerte bis Ende Februar. Die Feuerung wurde knapp, und sie froren auch in den Baracken. Wolzow riß in der Laubenkolonie heimlich ein Dach ab und stopfte Bretter und Teerpappe in den Ofen. »Diese Banditen!« schrie der Hauptmann, bei dem man sich beschwerte. »Verheizen die Lauben, wo Ausgebombte drin wohnen! Natürlich der Wolzow! Ich sperr Sie beim nächsten Dachschaden ein!« Aber diese Drohung nahm keiner mehr

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