Abenteuer des Werner Holt
ernst, denn zwischen Kutschera und Wolzow herrschte seit langem das beste Einvernehmen.
Ende Februar verwandelte beginnendes Tauwetter die Batteriestellung in einen grundlosen Morast. Dann folgten sonnige, frühlingshafte Tage. Nun saßen die Jungen Tag und Nacht am Geschütz. Die Briten flogen des Nachts ihre Flächenangriffe gegen die Großstädte, und am Tage zogen die amerikanischen Bomber zu Hunderten über den blauen Himmel. Von Jagdgeschwadern begleitet, flogen sie ihre Angriffe auf Städte, Industriewerke und Verkehrsknotenpunkte. Im Jahre dreiundvierzig hatten die Nachtangriffe überwogen. Das änderte sich nun.
Die Batterie hatte viermal am Tag Gefechtsschaltung, und immer wieder war das Ruhrgebiet selbst Angriffsziel. Der Munitionsverbrauch stieg, das Patronenschleppen verdrängte mehr und mehr den Schulunterricht. Am Tag zogen sich die Luftkämpfe von der holländischen Grenze bis weit nach Osten hin. Täglich stürzten Maschinen ab, Viermotorige, Mustangs, Focke-Wulf-, Messerschmittjäger. Aber die Bomber zogen unbeirrt ihre Bahn.
Holt lag auf seinem Bett, die Brust schmerzte, sie waren am Vormittag wieder geimpft worden, gegen Typhus oder Diphtherie, niemand wußte es genau. Wolzow las. Vetter spielte Skat, mit Kirsch und Zemtzki.
»Da sind wieder sieben Maschinen runtergekommen«, piepsteZemtzki, »mit der Zeit müssen die das doch merken!« Er hörte die Meldungen der Untergruppe. Manchmal stürzten im Abschnitt zehn, auch zwölf Maschinen an einem Tage ab. Gomulka sagte sachlich: »Unsere Abwehr vernichtet etwa fünf vom Hundert der eingeflogenen Feindmaschinen, das ist praktisch bedeutungslos.« Ziesche rief von seinem Bett her: »Der Gomulka mit seiner jüdischen Zahlenakrobatik will wieder mal Wehrkraftzersetzung treiben!« Vetter drohte: »Paß auf, wenn wir mal
deine
Wehrkraft zersetzen, mit ’m Knüppel!« Die Alarmglocke trieb sie aus der Stube. Am Geschütz, als er sich den Stahlhelm auf den Kopf stülpte, überlegte Holt: Wo hat Sepp diese Zahl her? Wolzow erzählte von den Fronten. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, was im Osten los ist! Ich hab ein paar Kommentare gelesen, im Wehrmachtbericht steht ja nichts drin. Zwischen Süd- und Mittelabschnitt haben die Russen einen dreihundert Kilometer breiten Keil getrieben! Schitomir ist hin. Kirowgrad ist hin, Kriwoi Rog ist hin.« – »Aber der Führer«, rief Ziesche, wie immer über Wolzows Sachlichkeit erbittert, »hat am 9. November ausdrücklich gesagt: ›Was ist das schon, wenn wir, durch die Kriegsnotwendigkeit gezwungen, einmal einige hundert Kilometer aufgeben müssen …‹« – »Durch Kriegsnotwendigkeiten? Durch die
Russen
gezwungen«, sagte Wolzow, »immer noch durch die Russen! … Ach, halt’s Maul«, fuhr er Ziesche an, »einem Eierkopf wie dir muß das der Führer ’n bißchen sanfter beibringen. Die militärische Wahrheit ist nur für Männer wie mich.«
Er hatte sich Landkarten aller Kriegsschauplätze besorgt, stand nun fast täglich, über die Karte gebeugt, am Tisch und verfolgte den Frontverlauf. Ziesche beobachtete es mit dem ewig gleichen mißtrauischen Gesicht.
Die Oberhelfer vom Jahrgang sechsundzwanzig aus Hamburg und den umliegenden Ruhrstädten standen vor der Einberufung zum Arbeitsdienst. Schon Mitte Februar hatte sich Unteroffizier Engel mit drei Obergefreiten auf den Weg gemacht, um irgendwo im Osten Ersatz auszubilden, Schüler vom Jahrgang 1928.
Seit Wolzows »schlagartiger Aktion« war die Fehde zwischenWolzow und den Hamburgern erloschen. Aber nun warnte der treue Schmiedling: »Eh die aus Hamburg, net wahr, dös is sicher, weil die bevor sie zum RAD gehn, da wolln s’ Ihnen noch a Abreibung verpassen!« Wolzow spottete nur.
Am 15. März sollten die Oberhelfer entlassen werden. Am 20. wurde der Ersatz erwartet. Am 12. März zog die Untergruppe die 107. Batterie für eine Woche aus dem Einsatz. Vier Geschütze mußten überholt werden, darunter auch Anton. Sie rissen den Geschützstand auf, und eine schwere Zugmaschine zog die Kanone über den Acker. Wolzow, Holt und Vetter fuhren mit in die Werkstatt. Vetter war in dem halben Jahr wesentlich schlanker geworden. An den Jungen zehrte die Schlaflosigkeit.
In der Waffenwerkstatt entdeckte Wolzow sogleich eine Kanone. »Kommt her! Die 8,8/41 … Mit Erdzieleinrichtung!« Er erklärte Holt und Vetter die Richtoptik. Ein Flaksoldat, zu dessen Batterie die Kanone gehörte, unterstützte ihn. Wer weiß, wozu ’s gut ist, dachte Holt
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