Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
begegnen. Vielleicht ja in Santiago, wer weiß?
Das Pilgern hatte heute mit pilgern wenig zu tun. Es war vielmehr ein Crosslauf der härteren Sorte und damit ein echter Belastungstest für die Pyrenäen. Es ging nur rauf und runter, ganz selten mal auf festen Wegen. Meine Beine waren bis hinauf zu den Oberschenkeln mit Dreck bespritzt. Einige Male blieb ich mit den Schuhen fast im Morast stecken. An jedem Fuß schleppte ich geschätzte 2 kg schwere Schlammklumpen mit mir herum. Ich hatte das Gefühl, auf jeden Schritt vorwärts mache ich zwei Schritte rückwärts. An besonders steilen Abschnitten musste ich bei dem seifigen Untergrund aufpassen, mich überhaupt auf den Beinen zu halten. Ich dachte beinahe zwangsläufig an die beiden Franzosen, für die es der erste Tag ist. Die werden bestimmt bereits heute Nachmittag in einen komatösen Schlaf gefallen sein, vermute ich. Ich merkte meine Beine zwar, fühlte mich dennoch gut und überquerte so einen Hügel nach dem anderen. Es hatte was, auch körperlich mal wieder so richtig gefordert zu werden. Trotz geschlossener Wolkendecke schien es zumindest von oben trocken zu bleiben.
Bei aller „Arbeit“ bot der Streckenverlauf eine Menge Sehenswertes. Viele Spuren weit zurückliegender Epochen begegneten mir, sei es in l’Hôpital d’Orion, einer 1144 gegründeten Pilgerstation, dem kleinen Ort Andrein oder ein paar hübschen, teils unscheinbaren Kapellen am Wegesrand. Jede für sich erzählt die Geschichte einer bewegten Vergangenheit.
Entlang des Flusses Gave d’Oloron näherte ich mich kurz nach Mittag der Stadt Sauveterre-de-Béarn, einer mittelalterlich anmutenden Stadt mit einer gewaltigen Befestigungsmauer. Um in die Stadt zu gelangen, musste ich über mehr als 100 Stufen einer abenteuerlich anmutenden Natursteintreppe hinauf, die entlang der Mauer angelegt ist. Oben angekommen, sank ich platt auf eine Bank am Rand der Mauer, wurde dafür aber mit einem herrlichen Blick hinunter ins Flusstal entschädigt. Auch Erschöpfung kann so seine schönen Seiten haben. Überhaupt ist eine Belohnung doch erst eine Belohnung, wenn man sie sich vorher richtig erarbeitet hat.
Während ich meinen Blick zu der sonderbaren Pont de la Légende, einer halben Brücke, die das andere Flussufer nie erreicht hat, schweifen ließ, wurde mir zum wiederholten Male bewusst, wie reich auch an äußeren Eindrücken mein Weg bis hierher schon war. Keine Ahnung, wie häufig ich Urlaub machen müsste, um all das in dieser Intensität geboten zu bekommen. Ich war mutig, denn trotz der bisherigen Anstrengungen des Tages nahm ich mir vor, noch 16 km bis Saint-Palais dranzuhängen. Im Profil erschien die Strecke dorthin etwas sanfter und außerdem gelüstete es mich einfach, weiterzugehen. Ich hatte noch nicht genug! Als ich an mir herunterschaute, war meine einzige Sorge, dass man mir keine Unterkunft gewähren könnte, dreckig wie ich war. Egal! Ultreya! Weiter!
Erst Mal setzte sich der Weg fort, wie er aufgehört hatte. Über morastige Waldpfade auf und ab, eine echte Plackerei. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich auf befestigte Wege gelangte, die Hügel etwas flacher wurden und die Wälder sich für schöne Aussichten öffneten. Mehr und mehr bekamen die Pyrenäen klarere Konturen. Grüne Weiden und klare Bäche betonten die ländliche Idylle. Auch das Wetter spielte mit und erfreute mich mit seinem sonnigen Gesicht.
Mit zunehmendem körperlichem Kräfteverschleiß wurde ich durch auf diesem Abschnitt katastrophale Markierungen auf eine harte Probe gestellt. 3 Mal kam ich vom richtigen Weg ab und merkte dies immer erst viel später. Heute schreibe ich es aber nicht meiner Blödheit zu, nein, es lag ganz klar an den fehlenden Muschelsymbolen! Auch mein Reiseführer war mir keine Hilfe, im Gegenteil, er verwirrte mehr. Als ob ich heute nicht weit genug zu gehen gehabt habe, musste ich locker noch 4 km zusätzlich unter die Füße nehmen. Gereift durch meine Erfahrungen, ließ ich aber gar nicht erst Ärger in mir aufkommen. Ich nahm es, wie es war, wusste, dass ich am Ende doch dort ankommen würde, wo ich hin wollte. War bisher immer so, warum hätte es heute anders sein sollen? Durch meine Umwege, landschaftlich ohne Frage reizvoll, zögerte sich meine Ankunft in Saint- Palais allerdings eine gefühlte Ewigkeit hinaus.
Ich habe ja nun erfahren, dass die Markierung des Pilgerweges unter der Obhut der verschiedenen Departements und deren örtlicher
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