Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
ich mir an der höchsten Stelle hinter dem Ort einen Überblick von der Umgebung verschaffte und markante Stellen wie Fluss, Bahnlinie, Brücke und Autobahn suchte. Diese boten mir Fixpunkte, an denen ich mich ausrichtete. Dadurch schaffte ich es, das Städtchen auf der richtigen Fährte zu verlassen und gelangte zu dem Bauernhof, der in meinem Handbuch beschrieben ist. Der kleine Trampelpfad, über den der Camino von dort laut Buchtext weiterführt, ist in Wirklichkeit ein gut ausgebauter Feldweg von mindestens 3 m Breite. Keine Ahnung, welchen Weg der Autor gegangen ist, als er das Buch geschrieben hat. Ich war ziemlich stinkig, suchte mir auf halber Strecke zum avisierten Tagesziel irgendwo tief im Wald einen Baumstamm, auf dem ich mich ausruhen konnte. Durchatmen! Mit der gewünschten Abkühlung war es nichts. Im Gegenteil, schwere, drückende Gewitterluft raubte mir jede Energie. War es früh am Morgen noch wolkenlos, bauten sich nun gewaltige Wolkenberge über mir auf und bildeten eine Drohkulisse, die mich trotz größter Unlust weitergehen ließ. Ich fürchtete, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis es kracht. Die Vernunft trieb mich an, der Respekt vor den Kräften der Natur half mir, meine Trägheit zu überwinden. Ich war nicht darauf erpicht, diesen Kräften mitten im Wald ausgesetzt zu sein.
Es kam noch besser! Schon nach 5 Minuten gelangte ich an eine Weggabelung und durfte mir instinktiv mal wieder die richtige Fährte aussuchen. Einen Hinweis im Reiseführer suchte ich (natürlich) vergebens. Ich lief immer weiter in den Wald hinein, der zunehmend dichter wurde. Weitere Weggabelungen, allesamt nicht erwähnt, sorgten dafür, dass ich irgendwann gar nicht mehr wusste, wo ich mich befand. Auf immer schlechteren Wegen rannte ich inzwischen wie ein Getriebener durch den Wald, ohne dass mir eine offene Stelle Orientierung bot. Über mir zogen sich die Wolken immer dichter zusammen. Ich hatte zum ersten Mal richtig Muffe, dass ich mich völlig verlaufen haben könnte und obendrein gleich das Gewitter über
mir losbrechen würde. Einem Menschen würde ich hier nicht begegnen, dessen war ich mir sicher.
Es dauerte eine endlos lang erscheinende Stunde - o der waren es zwei? - bis ich an eine Lichtung kam. Von dort erkannte ich in einiger Entfernung eine Straße. Querfeldein stürzte ich förmlich den Hügel hinunter um danach quer durch riesige Getreidefelder an diese Straße zu gelangen. Hier fühlte ich mich erst Mal sicher, wusste aber immer noch nicht, ob ich halbwegs richtig war. Erst nach weiteren 3 km entlang der Straße landete ich in einem kleinen Ort und freute mich wie ein kleines Kind, als ich das Hinweisschild Richtung Vaucouleurs sah, meinem auserkorenen Zielort dieser Etappe. Nur noch 3 km!
In meinem schnellsten mir noch möglichen Schritt brachte ich auch diese Distanz hinter mich. Unglaublich, just in dem Moment, in dem ich die erstbeste Bar betrat, entlud sich das längst erwartete Gewitter, begleitet von einem heftigen Wolkenbruch. Das war knapp! Gleichermaßen platt wie happy wähnte ich mich am Ziel, gönnte mir ein teures Bier, während gewaltige Donnerschläge mich ein ums andere Mal zusammenzucken ließen. Alles egal, ich hatte ja nur noch eine Unterkunft zu suchen, dachte ich. Keinen Schritt weiter wollte ich gehen. Zielstrebig machte ich mich auf die Suche nach dem nahegelegenen Hotel, als das Gewitter sich ausgetobt hatte. Dort folgte die Ernüchterung auf dem Fuße. Von dem, was sich mal Hotel nannte, ist nur noch eine völlig heruntergekommene Ruine übrig. Dieses Gebäude steht garantiert schon seit Jahren leer und ist nichts mehr, außer abbruchreif! Was soll‘s, zum Glück gibt’s ja im Ort noch ein zweites Hotel, welches ebenfalls schnell gefunden war – Geschlossen! Bingo! Der Eigentümer ist im Urlaub und kommt erst nächste Woche wieder. Wunderbar! Warum nur musste ich in diesem Moment an das Lied „Liebesspieler“ von den Toten Hosen denken? Klar, weil der Refrain mit „Scheiße, das war heut‘ nicht mein Tag…“ beginnt.
Was nun? Von dem Wirt der Bar, in der ich vorher Schutz vor dem Gewitter gesucht hatte, erfuhr ich, dass es in Vaucouleurs keine weiteren Unterkünfte gibt. Laut seiner Aussage ist das nächste Hotel 14 km entfernt, allerdings entgegen meiner Laufrichtung. Nein, nein und noch mal nein! Das ging gar nicht. Keine 14 km zurück! Mal abgesehen davon wäre ich dazu gar nicht mehr in der Lage gewesen. Ich war deprimiert und
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