Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
beschlossen, Hans Rosenthal würde wahrscheinlich sagen, „Das war spitze!“.
Ausklang eines herrlichen Tages am Ufer der Mosel
Tag 16, Pont-à-Mousson - Toul 43 km
Nach dem Frühstück wusste ich, warum das Zimmer einen stark afrikanisch geprägten Stil hat. Die Frau des Hoteleigentümers kommt aus dem Tschad und zeichnet für die Einrichtung verantwortlich. Mit viel leckerem Camembert wurde ich gleich zu Tagesbeginn kulinarisch verwöhnt. Der Versuch einer Konversation scheiterte an den sprachlichen Barrieren. Bester Laune begab ich mich anschließend auf den vertrauten Fernwanderweg und tauchte bei erneut schönstem Wetter schon bald in einen dichten Buchenwald ein, wo ich mit der lebhaften Unterhaltung der Vögel allein war. Es begann das bisher sonderbarste Erlebnis meines Weges… :
In erstaunlich realistischen Bildern wurde ich Zeuge meines eigenen Todes. Die „Geschichte“, die sich im Zeitraffer vor meinem inneren Auge abspielte, begann standesgemäß auf dem Camino. Bereits von einer schweren Krankheit gezeichnet schleppte ich mich über den Weg und spürte, wie mit zunehmender Wegstrecke meine Kräfte weiter nachließen. Immer auf das Ziel fokussiert, gab ich jedoch nicht auf und erreichte unter starken Schmerzen schließlich Santiago de Compostela. Ein unvorstellbares Glücksgefühl durchströmte mich, ließ alle vorherigen Qualen vergessen. Im Wissen um mein nahes Ende gönnte ich mir 3 Tage im besten Hotel am Platz, dem Parador - zusammen mit Wiebke, die am Tag meiner Ankunft dazu stieß. Mit ihr verbrachte ich die restliche Zeit in Santiago. Nach meiner Rückkehr in Deutschland waren mir noch 4 Wochen vergönnt, die ich, inzwischen stark geschwächt, im Kreis meiner Familie verlebte, bevor ich friedlich einschlief. Ein Moment totaler Entspannung, vollendeten Glücks für mich selbst. Viele Augenblicke meines Lebens, schöne und weniger schöne, zogen an mir vorbei. Gleichzeitig sah ich die Trauer meiner Angehörigen und hätte ihnen am liebsten gesagt, dass es mir gut geht. Aber sie hörten mich nicht mehr... . In einer schlichten Zeremonie wurde schließlich das, was die lodernden Flammen von meinem Körper übrig gelassen hatten, über dem Meer verteilt, so wie ich es mir gewünscht hatte. Hier endete mein Weg des Lebens!
Als ich wieder im Hier und Jetzt ankam, standen mir Tränen in den Augen. Ich benötigte einige Minuten, um mich zu berappeln. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich „weg“ war. Alles erschien mir total echt, war aber überhaupt nicht schlimm. Was das Ganze zu bedeuten hat, wird sich mir vielleicht später mal erschließen – oder auch nicht... .
Wie auch immer, wenn‘s sich einrichten lässt, würde ich schon noch gerne etwas länger auf diesem Planeten verweilen… . Außerdem möchte ich meiner Mutter den Verlust eines weiteren Kindes gerne ersparen.
Mit Verlassen des Waldes wurde der Weg unebener und erforderte meine volle Konzentration. Die Wirklichkeit hatte mich endgültig wieder. Bis Liverdun zog es sich. Es folgte ein Stück mit toller Fernsicht und anschließend anstrengende 5 km auf teils schwierigem Geläuf. Die Sonne knallte ordentlich. In Liverdun hatte ich immerhin schon 25 Tageskilometer zurückgelegt und konnte mir ohne weiteres vorstellen, hier Quartier zu beziehen. Nur, es gab keins, das nächste war noch 15 km entfernt. Schade, denn so hatte ich nicht die Zeit, dem schönen alten Städtchen oberhalb der Mosel die Zeit zu schenken, die es verdient gehabt hätte. Ich gönnte mir lediglich ein ausgedehntes Päuschen am Flussufer. Dabei stellte ich fest, dass ich mir einen Zeh blutig gelaufen habe. Ich beschloss, mein Schuhwerk zu wechseln und stieg für die restliche Strecke des Tages auf Sandalen um.
Ohne weitere Tagträume setzte ich den Weg fort. Wie befürchtet war es ein hartes Stück Arbeit. Der Camino zeigte mir nun, was in ihm steckt, und dass er vor allem nicht nur aus Lustwandeln besteht. Es ging zwar die meiste Zeit an der Mosel entlang, aber es war kein sonderlich attraktiver Abschnitt, zumal fast gänzlich ohne Schatten und zu weiten Teilen an einer Straße entlang. Egal, solche Etappen müssen einfach gefressen werden. Die letzten 10 km bis Toul wurde es immer flacher, ich nahm den Kopf nach vorne und kämpfte mich Kilometer für Kilometer voran, eine ermüdende Passage. Zwischendurch kreuzte eine vielleicht 50 cm lange Schlange meinen Weg. Sie hatte mehr
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