Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Angst vor mir als ich vor ihr, so schnell sie erschienen war, verschwand sie wieder im Gestrüpp. Auf den nun noch 6 km bis Toul orientierte ich mich an den Begrenzungssteinen der Landstraße. Ich nahm mir für jeden Kilometer eine Zeit unter 10 Minuten vor. Es klappte, 55 Minuten benötigte ich insgesamt, zum Schluss war‘s eine reine Willensleistung!
Am Ortseingang erwartete mich wie gerufen ein Lidl-Markt. Der Durst trieb den ersten Liter Multivitaminsaft in mich rein, bevor ich an die Kasse kam, die Flasche Wasser war 5 Minuten später ausgetrunken. Schätzungsweise 7 Liter Flüssigkeit habe ich mir heute sicher in meinen Kadaver geschüttet. Tat Not!
Erst um 20 Uhr erreichte ich das Zentrum von Toul. Zum Glück lief ich wieder einmal direkt auf das Hotel zu, welches ich mir vorab für die Nacht auserkoren hatte, natürlich das billigste. Eine Absteige! Egal, Bett, Dusche und WC sind sauber, das zählt.
Aufgrund meiner fortgeschrittenen Ermattung fiel ein Stadtbummel heute aus. Die recht imposante Kathedrale hatte ich bereits auf dem Weg zum Hotel in Augenschein genommen, viel mehr gab es nicht zu sehen, was mich interessiert hätte. Meine letzte Aktivität bestand darin, mir Essbares zu besorgen. Nun bin ich froh, mit ausgestreckten Beinen auf meinem Bett entspannen zu können. Es regnet übrigens, und das nicht zu knapp! Endlich! Schon als ich in die Stadt kam, zogen dunkle Gewitterwolken auf, die sich nun mit viel Getöse entladen. Vielleicht bringt es ja ein wenig Abkühlung für morgen. Verkehrt wäre das nicht!
Was bleibt festzuhalten an diesem sonderbaren Tag? Natürlich wirkt besonders mein „Todeserlebnis“ von heute Morgen nach. Messe ihm jedoch keine Bedeutung bei, gedenke es im realen Leben noch ein bisschen länger zu machen, fühle mich nämlich sehr lebendig! Ansonsten hat mir der Camino mal wieder offenbart, wie gut er es mit mir meint. Als mir heute Nachmittag meine Wasservorräte ausgingen, es waren immerhin noch 2 Stunden bis Toul, und ich mit trockenem Hals eine kleine Ortschaft herbeisehnte, um mir dort an einem Haus Wasser erbetteln zu können, lief ich geradewegs auf einen Brunnen zu, in dem eiskaltes Trinkwasser sprudelte. Diese Kleinigkeiten sind’s, die pure Freude bereiten! Wasser bekommt in so einem Moment die Wertschätzung, die es verdient!
Ganz nebenbei fällt mir beim Blick in meine Unterlagen auf, dass ich mich inzwischen 140 km in Frankreich vorgearbeitet habe. Geht doch! Wie erwartet ist’s nicht immer leicht, aber längst mache ich mir keine Gedanken mehr, dass ich Problemen begegnen könnte, denen ich nicht gewachsen bin. Ich glaube, ja ich bin sicher, ich befinde mich auf einem guten Weg!
Bin nun gespannt, wann ich mal wieder einem Pilger begegne… .
Typisch französische Hausfassaden, hier in Pont-à-Mousson
Tag 17, Toul – Maxey-sur-Vaise 29 km
War das eine unruhige Nacht. Das Hotel war dermaßen hellhörig, dass ich aus allen umliegenden Zimmern praktisch ungedämpft jedes Geräusch vernehmen konnte. Besonders nebenan herrschte bis tief in die Nacht ein lebhaftes Treiben. Ganz offensichtlich diente das Hotel auch Damen des horizontalen Gewerbes als Ausübungsort ihrer körperbetonten Tätigkeit… . Nach maximal 3 Stunden Schlaf rundete ein Frühstück, welchem ich selbst mit bestem Willen nur das Prädikat „lausig“ verleihen konnte, den schlechten Start in den Tag ab.
Es war ausschließlich das Verlangen, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen, was mich motivierte, zügig aufzubrechen. In angenehmer Umgebung wäre ich heute wohl kaum weiter marschiert. Ich hing fürchterlich durch! Daran änderten auch die ersten Kilometer nichts. Ich kam einfach nicht auf Touren, alles nervte! Selbst der Rucksack war gefühlt 3 Mal so schwer wie zuletzt. Der Weg tat seinen Teil dazu, geizte vollständig mit optischen Reizen. Zu allem Überfluss meldete sich eine wunde Scheuerstelle am Rücken oberhalb vom Hosenbund. Verdammt, tat das weh! Dazu passte, dass mich mein Reiseführer heute fast wahnsinnig gemacht hat. Leider ging der gut markierte Fernwanderweg bereits gestern zu Ende. Ich hatte keine Wahl, was anderes als mein Büchlein stand mir nicht zur Verfügung, und irgendeine Orientierung brauchte ich ja. Durch die höchst dilettantische Beschreibung verlor ich in dem Kleinstädtchen Foug über eine Stunde. Den Weg fand ich letztlich nur, weil
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