Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
allzu lange warten zu müssen. So würde es jedenfalls nicht mehr lange weitergehen können! Ich glaube, ich habe mich emotional noch nie so schlecht gefühlt wie heute! Wenigstens war mein Kampfgeist noch nicht eingeschlafen. Nein, aufgeben wollte ich so einfach nicht. Weiter! Welchen Sinn hätte das alles bis dahin sonst gehabt? Sind Krisen nicht dazu da, dass man gestärkt aus Ihnen hervorgeht? Ich wahrte mir die Hoffnung, es bald zu erfahren!
Das Positive an meiner Gedankenversunkenheit war, dass ich mich, ohne es zu merken, bereits bis auf 2 km an Domrémy-la-Pucelle angenähert hatte. Von einem Moment auf den nächsten setzte ein kräftiger Landregen ein. Zwar hatte er keine reinigende Wirkung, ließ mich aber zumindest gleichgültig. Währenddessen hatte ich auf einigen hundert Metern Länge in Gestalt mehrerer Dutzend Kühe ein paar treue Begleiter, die mir bis zum Ende ihrer Weide folgten und dabei ihre Blicke nicht von mir lassen wollten. Wahrscheinlich hielten die mich mit meiner breitkrempigen Mütze und dem Pilgerstock für so ‘ne Art Hirten. Hätte gern gewusst, was in deren Köpfen so vor sich ging. Noch lange schauten sie mir hinterher… .
Gegen 16 Uhr erreichte ich Domrémy-la-Pucelle, Geburtsort der legendären Jeanne d’Arc. Mehr ging für mich heute nicht! Die Zimmersuche verlief zwar nicht reibungslos, aber deutlich einfacher als gestern. In Greux, einem Vorort, erhielt ich schließlich das ersehnte Zimmer in einer alten Villa. Die an ihr nagenden Spuren vom Zahn der Zeit waren und sind nicht zu übersehen.
Was mich wirklich deprimierte, war die Tatsache, dass ich mich kein bisschen besser fühlte, als ich in meinem Zimmer saß und aus dem Fenster starrte. Wie sollte ich die restliche Zeit des Tages totschlagen? Außer dem Denkmal der Jeanne d’Arc gibt es in Domrémy nicht viel zu sehen. Der Weg zur über 2 km entfernten Basilika war mir definitiv viel zu weit, obwohl mir ein Besuch dort möglicherweise nicht geschadet hätte. Ich beschloss, mich schlafen zu legen und darauf zu hoffen, dass morgen alles besser wird.
Vielleicht eine Stunde nach meinem „Einzug“ in die Villa vernahm ich Stimmen auf dem Flur, kurz darauf klopfte es bei mir an der Tür. Der Hausherr wollte mir 3 andere Gäste vorstellen, die soeben angekommen waren – deutsche Pilger! Sie wirkten erschöpft, daher begrüßten wir uns nur kurz, bevor sie in ihren Zimmern verschwanden. Trotzdem, allein deren Ankunft sah ich für mich als einen Silberstreif am Horizont. Mein Wunsch nach Gesellschaft nahm in Form dieser 3 Pilger Gestalt an... .
Wir trafen uns später vor der Villa und entschieden gemeinsam, in der einzig geöffneten Bar des Ortes etwas trinken zu gehen. Die 3 haben sich auf dem Weg getroffen und pilgern seit einigen Tagen zusammen. Iris und Friedbert sind ein Paar. Kurios, sie wohnen nur 20 km von mir entfernt in Plettenberg! Sie wollen den Weg nach Santiago in mehreren Etappen zurücklegen. In 1 ½ Wochen geht’s für die Beiden erst Mal zurück nach Deutschland. Peter kommt aus Hamm und ist bereits am 24. März von zuhause gestartet. Er will den Weg wie ich an einem Stück gehen. Auch er hat (natürlich) schon einiges erlebt, unter anderem eine tiefe Krise in Trier. In Metz hat er sich sogar entschlossen, nach Hause zu fahren, um sich mental neu auf Frankreich vorzubereiten, die Füße zu pflegen und seine Ausrüstung anzupassen. 10 Tage später ist er nach Metz zurückgekehrt, um den Weg fortzusetzen. Ich weiß nicht, ob ich da noch einmal die Kurve gekriegt hätte. Ich glaube eher nicht. Respekt!
Wir alle hatten an diesem Tag etwas gemeinsam. Auch Iris, Peter und Friedbert waren gefrustet. Sie hatten sich gestern sogar noch schlimmer verlaufen als ich, sind völlig vom Weg abgekommen. Sie benutzen übrigens den gleichen Reiseführer wie ich und sind mächtig sauer auf den Verfasser. Die 3 hatten gestern keine andere Wahl mehr, sind in dem Schlosshotel von Montbras „abgestiegen“. Dadurch, dass sie zu dritt waren, hielten sich die Kosten für sie aber halbwegs in Grenzen. Wir quatschten den ganzen Abend und stellten fest, dass sich unsere Erlebnisse in vielen Punkten sehr ähneln, Hochs und Tiefs häufig nah beieinander liegen. Peter erzählte von seiner beruflichen Zeit als Verkaufsprofi, in der er sich so lange vom Erfolgsdruck hatte treiben lassen, bis er völlig leer war. Das war für ihn der Zeitpunkt, seine berufliche Existenz hinzuschmeißen und mehrere Gänge
Weitere Kostenlose Bücher