Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
hatte keine Ahnung, wo ich bleiben soll. Also erst Mal noch ein Bier getrunken und eine Zigarette geraucht. Ich fing an mit dem Gedanken zu spielen, mir eine Bushaltestelle oder ähnliches zu suchen, wo ich die Nacht verbringen kann. Aber so dreckig und verschwitzt, wie ich war? Ich fühlte mich ekelig. Nein, das konnte es auch nicht sein, außerdem hatte ich Hunger ohne Ende! Alles lief schief und erstmals stellte ich mein gesamtes Unterfangen ernsthaft in Frage. Was macht das eigentlich für einen Sinn? Ich sollte irgendwie versuchen, nach Toul zurückzukehren, schoss es mir durch den Kopf. Dort dürfte es einen Bahnhof mit Zugverbindungen nach Deutschland geben. Verlieren hin, verlieren her! Man muss
eben auch mit Niederlagen leben können. Aber das h ier kann es ja wohl nicht sein, setzte ich meine Gedanken fort.
Als ich die Bar verließ, hatte ich immer noch keinen Schimmer, was ich tun soll. Weder Wirt noch die anwesenden Gäste konnten mir nützliche Hinweise geben. Auf der Straße sprach ich einen Mann an, der zu meinem Glück der englischen Sprache mächtig war. Die Hoffnung stirbt zuletzt - an diesen Strohhalm klammerte ich mich. Er wusste immerhin, dass in Montbras kürzlich ein Hotel eröffnet hat. Montbras ist sogar in meinem Handbuch erwähnt, etwa 8 km von Vaucouleurs entfernt, genau am Camino gelegen. Hatte ich eine Wahl? Nein! Ich hatte zwar weder Lust noch Kraft, weiterzugehen, trotzdem machte ich mich auf den Weg und nahm die 8 km in Angriff. Wenigstens hatte sich das Gewitter komplett verzogen. Anfangs bewegte ich mich mühsam wie eine Schnecke, nahm mit jedem Kilometer mehr Geschwindigkeit auf und rannte schließlich wie ein Bescheuerter, als wäre ich auf der Flucht vor jemandem gewesen, der mir nach dem Leben trachtet. Ich habe keine Ahnung, wo sich diese Kraftreserven vorher versteckt gehalten haben. Wahrscheinlich war‘s purer Automatismus. Obwohl meine Füße inzwischen bei jedem Schritt wie Feuer brannten, reduzierte ich mein Tempo um keinen Deut. Ich wollte nur nach Montbras, und das so schnell wie möglich.
Als ich nach weit mehr als einer Stunde immer noch keinen Hinweis auf Montbras finden konnte, hielt ich ein Auto an, um zu fragen, wie weit es noch sei. 2 km, signalisierte mir die Frau am Steuer und bot mir an, mich das Stück mitzunehmen. Ich nahm dankend an! Obgleich die Dame nur französisch sprach, verstand ich ihren Hinweis, dass es sich um ein sehr teures Hotel handeln soll. Das sah ich, als wir dort ankamen. Ein feudales Schlosshotel, keinesfalls für das Budget eines normalen Pilgers bestimmt, präsentierte sich mir. An der Rezeption bestätigte die Frage nach dem Preis meine Befürchtung, dort nicht bleiben zu können. Ich machte sofort kehrt, selbst in der Not kam und kommt eine derart teure Unterkunft nicht in Frage. Die Dame, die mich gebracht hatte, war sehr nett und wartete auf mich. Sie konnte es sich von vornherein nicht vorstellen, dass ich ernsthaft in Erwägung gezogen hätte, in diesem Hotel ein Zimmer zu beziehen. Das Schönste war: In einer kleinen Siedlung, 4 km zurück, kannte sie eine günstige private Unterkunft, in der bestimmt noch ein Zimmer frei sein würde, wie sie sagte. An dieser Siedlung war ich vorher vorbei gerannt, scheinbar keiner in Vaucouleurs wusste von dieser Unterkunft. Natürlich fuhr mich mein „Engel der Landstraße“ dorthin und klärte mit der Eigentümerin direkt alles ab. Ich hatte mein Zimmer!! Der Ort ist so klein, dass er nirgendwo in meinen Unterlagen erwähnt ist. Aber warum, bitte schön, weist mein Reiseführer diese Unterkunft nicht aus? Man sollte den Autor verklagen, und den Verlag, der so einen Murks veröffentlicht, gleich mit!
Aber jetzt ist nicht die Zeit für Ärger! Dankbarkeit ist ang esagt, Dankbarkeit für eine liebe, hilfsbereite Frau, durch die ich doch noch an mein Bett gekommen bin. Und das in einem wunderschönen alten Bauernhaus, urgemütlich mit viel Holz, bequemer Sitzgruppe und sogar einer voll ausgestatteten Küche. An dieses Happy End habe ich fast nicht mehr zu glauben gewagt! Trotzdem, richtige Freude will nach diesem Tag nicht mehr so recht aufkommen, zumal ich mir am linken Fuß eine richtig perverse Blase gelaufen habe. Nein, ein guter Tag war und ist das heute nicht. Das Leben wie Gott in Frankreich ist auf jeden Fall eine sehr temporäre Angelegenheit. Wahrscheinlich hat das sogar alles seinen Sinn, nur fehlt mir heute jeglicher Nerv, darüber weiter nachzudenken.
Die Dusche tat
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