Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
stimmte.
Mein Gefühl ließ mich nicht im Stich, nach rund 4 Stunden erreichte ich Les Riceys. Ich war zufrieden mit mir, verlieh mir spontan das Pfadfinder-Vordiplom. Les Riceys fiel auf. Die Stadt war anders. Alles ist dort etwas gediegener, pompöser und besonders fein rausgeputzt. Durch mein nächtliches Studium wusste ich, dass die Gemeinde sozusagen ein Zusammenschluss dreier Ortschaften und zugleich absolute Hochburg für die Champagnerherstellung ist. Neben dem prickelnden Luxusgesöff produzieren die Winzer von Les Riceys einen erlesenen, und, wie es heißt, weltberühmten Rosé-Wein, von dem in guten Jahren maximal 80.000 Flaschen abgefüllt werden. Kennern wird das wahrscheinlich bekannt sein, mir als Kulturbanausen und „Liebhaber“ preisgünstiger Weine ist das neu. Ja ja, der Jakobsweg ist eben auch eine Bildungsreise.
Eine kleine Pause gönnte ich mir, sah den Arbeitern eines Winzerhofes zu und trank „genüsslich“ meinen Schottensekt - etwas warm war er geworden. Anschließend verließ ich die Champagne und betrat gleich die nächste bekannte Weinregion des Landes, die Bourgogne. Fühlte mich weiter fit wie ein Turnschuh! Meine frisch erworbenen Pfadfinderqualitäten brauchte ich am Nachmittag nicht mehr. Auf gut markierten Wanderwegen marschierte ich anfangs weiter durch Weinfelder, später dann zur Abwechslung mal wieder durch Getreidefelder. Auf einer schmalen Straße
wurde ich von einem Ehepaar angehalten, das mich mit dem Auto mitnehmen wollte. Kam natürlich gar nicht in Frage. Gegenwärtig läuft es sich so gut, dass es eine Schande gewesen wäre, den schönen Weg im Auto sitzend an sich vorbeiziehen zu lassen. Viel zu sehr habe ich mich inzwischen an das langsame Tempo meiner eigenen Schritte gewöhnt. Selbst mit dem Fahrrad wär’s mir zu schnell. Es ist tatsächlich so, der normale Gang entspricht wohl am ehesten der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit. So viele Details bleiben einem bei jeder anderen Art der Fortbewegung verborgen. Ich verstehe sehr gut, warum das Pilgern derzeit einen riesigen Boom erfährt. Es macht einfach Spaß.
In Villiers-le-Bois wollte ich eigentlich meine Tagesetappe beenden, musste jedoch schnell einsehen, dass daraus nichts würde. Der winzige Ort bot weder eine Unterkunft noch sonst irgendetwas. Nicht einmal eine Menschenseele schien dort zu Hause zu sein. Es war wie ausgestorben. Egal, weiter! Etwa eine Stunde später erreichte ich Etourvy. Am Ortseingang erfuhr ich von einem Anwohner, dass es ein Gite gibt. Na also! Eine Weile musste ich suchen, dann hatte ich es endlich gefunden. Ein riesiges Anwesen mit älterem Haupthaus und 2 seitlichen Nebengebäuden. Aber - alle Türen waren verschlossen, und offensichtlich war niemand da. Mir blieb nichts anderes übrig als zu warten. Das tat ich unter einer gewaltigen Kastanie auf dem Hof. Weitergehen kam nicht mehr in Frage, 40 km reichten mir für heute. Meine Füße freuten sich denn auch, als ich sie endlich aus den engen Schuhen befreite. Sie sehen übrigens nach wie vor richtig scheiße aus, aber immerhin befinden sich alle Blasen auf dem Rückzug. Eine erfreuliche Erkenntnis, diese blöden Plagegeister haben mich lange genug geärgert! Ein stolzer Schwan im Teich neben meiner Raststelle leistete mir Gesellschaft, bis nach einer halben Stunde ein Auto vorfuhr. 2 Männer holten leere Kisten und Fässer ab. Es war inzwischen 19 Uhr, dunkle Wolken kündigten ein Gewitter an. Langsam aber sicher gelüstete mir nach einem Dach über dem Kopf. Mächtige Bäume sind ja bekanntlich nicht die sichersten Orte, wenn‘s blitzt und donnert.
Die beiden Herren ließen mich wissen, dass sie nur Lieferanten sind und nicht zu dem Anwesen gehören. Immerhin kennen sie aber die Verwalterin und versprachen mir, diese zu informieren. Eigentlich sei das Anwesen heute geschlossen. Nach weiteren 20 Minuten fuhr erneut ein Auto vor und eine Dame mit großem Schlüsselbund kam mir entgegen. Sie war nicht nur sehr nett sondern hatte auch das gewünschte Zimmer für mich. Im großen Lebensmittellager des Hauses durfte ich mich mit reichlich Proviant für den Abend und morgen früh eindecken. Gut so, denn im Ort gibt es nichts. Im Haus bin ich heute der einzige Gast. Normal scheinen hier große Schulgruppen oder Vereine mit bis zu 100 Personen untergebracht zu werden, so wie die Räume dimensioniert sind.
Beim Betreten meines Zimmers fühlte ich mich an alte Bundeswehr-Zeiten erinnert. Es ist mehr eine große Zelle,
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