Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
nur eine kurze Pause, wollte mal etwas früher an meinem Etappenziel ankommen. Die letzten 6 km ging es endlich durch Weinfelder und an einigen wenig bescheidenen Anwesen vorbei. Man kann darauf kommen, dass hier nicht irgendeine Rebsorte angebaut wird, selbst wenn man nicht wüsste, dass man sich in der Champagne befindet. Die Ruhe wurde nur gestört durch ein paar tief fliegende Militärbomber. Eine „sensationelle“ Beobachtung gelang mir, als ich erstmals in meinem Leben einen tiefblauen Schmetterling sah. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Exemplar um die seltene Gattung des Champagner-Falters, der zu lange auf einer ebensolchen Pulle gesessen hat. Die blaue Färbung gibt Aufschluss über den Grad der Alkoholisierung des Schmetterlings. Na ja, ist vermutlich nicht die richtige Erklärung, aber schön anzusehen war der Flattermann allemal.
Es war gerade kurz nach 14 Uhr, als ich Essoyes erreichte und schon beim Durchwandern der kleinen Innenstadt stellte ich zufrieden fest, dass dieser Ort alle meine Wünsche nach einer pilgergerechten Infrastruktur erfüllt. Bäcker und Minimarkt, beides vorhanden, ebenso ein Gite de France. Alles super! Nun ja, fast jedenfalls. Meine Pensionswirtin, geschätzte 70 Jahre alt, benahm sich höchst sonderbar. Ich kann zwar kein Französisch, trotzdem glaubte ich herauszuhören, dass die Dame lallt und ordentlich einen getankt haben muss. Ihr glasiger Blick und der leicht wankende Gang sprachen ebenfalls dafür. Nicht weniger als 3x zeigte sie mir Zimmer und Bad, legte 2 Rollen Klopapier auf ein Schränkchen, bevor sie endlich die Tür von außen zuzog. Ich schnaufte kräftig durch, war alleine. Nur eine würzige Alkoholfahne verblieb im Zimmer. Erst mal duschen und lüften! Keine 5 Minuten waren vergangen, ich war inzwischen aus meinen verschwitzten Klamotten gestiegen, also nackend, da klopfte es an der Tür. Durch einen schmalen Spalt sah ich in das breit grinsende Gesicht der betrunkenen Lady. Sie hatte etwas Wichtiges vergessen – die 3. Rolle Klopapier! Die Frau war echt knallvoll!
Danach schloss ich vorsichtshalber die Tür ab und nahm mir sogleich vor, nach dem Duschen die „Flucht“ in den Ort anzutreten. Diese Frau mochte ich mir nicht für den Rest des Tages antun… .
In dem Städtchen erhielt ich zunächst etwas Geschichtsunterricht in der Rubrik Kultur. Ich erfuhr, dass Essoyes einer der erklärten Lieblingsorte des Malers Renoir war, er hier nach seinem Tod 1919 auch beigesetzt wurde. Das Stadtmarketing ist natürlich nach seinem berühmten (Adoptiv-) Sohn ausgerichtet. Ein Atelier und zahlreiche seiner Gemälde, die in Übergröße auf Hauswänden zu sehen sind, mögen sicher den einen oder anderen Kunstfreund anziehen. Unbestritten ist Essoyes ein nettes Städtchen, durch dessen Inneres sich malerisch das Flüsschen l’Ource schlängelt.
Noch bevor ich meine Sightseeingtour vollenden konnte, entlud sich ein gewaltiger Gewitterregen, vor dem ich mich so gerade noch trockenen Fußes in eine schäbige Bar flüchtete. Ich bestellte mir ein Bier und staunte nicht schlecht, als ich für ein 0,25 Liter-Glas in dieser Spelunke 2,80 Euro löhnen durfte. Beim Blick auf die Getränketafel erkannte ich, dass es sich dabei keineswegs um Touri-Abzocke handelt, sondern dies tatsächlich der reguläre Bierpreis ist. Einen Vorteil haben diese Mond-Preise beim Bier - sie halten den Konsum gering!
Noch ein Wort zu den Bars hier im Allgemeinen: Die kann man auf einer Skala getrost zwischen total lieblos und richtig schäbig einstufen, alle! Das gilt übrigens auch für einen Großteil der Restaurants. Ich habe immer gedacht, die Franzosen lieben gepflegtes und stilvolles Ambiente. Pustekuchen! Jeder halbwegs liebevoll eingerichtete Schnellimbiss in Deutschland vermittelt mehr Gemütlichkeit! Was soll‘s, wenn es den Leuten hier so gefällt, ist es gut!
Da ich mir vorgenommen habe, Geld zu sparen, stellte ich mir mein Abendessen im hiesigen Minimarkt zusammen. Frankreich war bis hierher ein verdammt teures Pflaster. Wahrscheinlich ist ein 4*-All-Inklusive-Urlaub auf Malle mit Flug billiger als meine Wanderschaft in Frankreich. Dabei verzichte ich schon auf überflüssigen Komfort und handele Preise runter, wo es möglich ist. Der Komfort fehlt mir auch kein bisschen, aber dass trotzdem so viel Kohle dabei drauf geht, das wurmt mich schon. Ich hoffe, es wird irgendwann besser… .
Bevor ich ins Gite zurückkehrte, rief ich kurz zuhause an und
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