Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
der Unschuld meines Kameraden und mir zweifelte. Überhaupt war der Hauptmann ein richtig anständiger Vorgesetzter mit sehr viel Feingefühl.
Das bewies er an den traurigsten Tagen meiner Bundeswehrzeit, als ich während einer 5-tägigen Ostsee-Übung aus der Zeitung vom brutalen Mord an meiner früheren „Sandkastenfreundin“ und Quasi-Nachbarin Dani erfuhr. Ich hatte Nachtwache, las einen Artikel über den Mord in der Bild-Zeitung und erkannte Dani auf einem Foto. Es dauerte, bis ich realisiert hatte, was passiert war…
Ganz selbstverständlich hat mich der Hauptmann an den folgenden Tagen vom Dienst an der Waffe befreit und stand mir als verständnisvoller Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Ich war völlig durch den Wind, diese Tage waren schrecklich!
Noch viele andere größere und kleinere Geschichten kramte ich bei meinem Gang Richtung Cravant aus meinem Gedächtnis hervor. Richtig ereignisreich war die Zeit damals. Heute bin ich dankbar dafür.
Während dieses Rückblicks begegnete ich sicher 2 Stunden keinem Menschen. Nur ein paar Enten leisteten mir hin und wieder Gesellschaft. Es hatte sich eingeregnet, aber mein Poncho ließ keine Feuchtigkeit durch. Hinter Cravant gelangte ich über einen schmalen Waldpfad auf eine Anhöhe, wo ich einem wirklich komischen Kauz mittleren Alters begegnete. Was verirrt sich ein Mensch, wenn er nicht gerade Pilger ist, bei dem ungemütlichen Wetter in ein solch verlassenes Waldstück, fragte ich mich. Sehr seltsam! Er sprach mich auf Französisch an und redete vielleicht eine Minute auf mich ein, ohne dass ich etwas verstand. Danach ließ er mich wieder vorausgehen. Irgendwie hatte ich minutenlang ein ungutes Gefühl, diesen Menschen hinter mir zu wissen. Erst als ich ihn schnellen Schrittes abgeschüttelt hatte und er aus meinem Blickfeld verschwunden war, konnte ich wieder relaxen. In einer Bushaltestelle vor Accolay fand ich ein geschütztes Plätzchen für meine erste Pause des Tages, 23 km hatte ich da schon hinter mich gebracht. Es war erst 13 Uhr. Ich gönnte mir eine ganze Stunde, sah zu, wie der Wind die Wolken förmlich vor sich hertrieb. In jeder Sekunde entstand ein neues Bild am Himmel, faszinierend! Bis Arcy-sur-Cure, meinem anvisierten Zielort, waren es nur noch 11 km, ich fühlte mich
total ausgeruht, wollte es ruhig angehen l assen. Aus dem Dauerregen wurde Schauerwetter mit kurzen Auflockerungen. Das Gehen blieb die pure Lust! Immer, wenn die Sonne sich für kurze Momente blicken ließ, glitzerten die Regentropfen auf dem jungen Grün der Laubbäume wie kostbare Kristalle. Der Weg führte nun fast ausschließlich durch dichte Wälder, die nur hin und wieder durch kleine Ortschaften unterbrochen wurden. Um 16 Uhr erreichte ich Arcy-sur-Cure und war fast traurig, dass ich schon am Etappenziel angelangt sein sollte. Das Pilgern machte unendlich viel Spaß heute. Das „Schicksal“ meinte es gut mit mir. Es gab nämlich weder eine Unterkunft noch hilfsbereite Menschen. Die wenigen, die ich sah, waren so verschlossen, dass sie noch nicht einmal meinen Gruß erwiderten.
Ich durfte also weiterlaufen. Immer weiter! Keine Ahnung, bis wohin es gehen könnte. Es war mir egal, ich wollte nur laufen! Und das tat ich. Schon bald war ich tief in einem Wald versunken und verlor dabei jegliches Zeitgefühl. Nach und nach realisierte ich, dass ich es vielleicht sogar bis Vézelay schaffen könnte. Nichts schien mich heute stoppen zu können. War es vielleicht die magische Anziehungskraft, die von diesem bedeutenden Wallfahrtsort ausgeht, oder was gab mir die Kraft? War es Gott oder war ich es selber? Wollte Gott mir zeigen, dass ich schaffen kann, was ich
ernsthaft verfolge oder war ich gerade dabei, mir genau das selbst zeigen zu wollen?
Wohl beides! Haben nicht meine Gedanken ihren Ursprung bei/in Gott? Ich glaube sogar, wir bilden eine Einheit, sind gar nicht wirklich voneinander getrennt.
Wieder einmal rückte meine ungeklärte berufliche Situation in den Fokus. Ich tendiere inzwischen dahin, den mir angebotenen Job nicht anzunehmen. Er ist nicht, was mein Herz begehrt, was ich wirklich will. Aber gut wird nur, was ich wirklich will, das meine ich mittlerweile zu wissen. Nur, was will ich eigentlich? Vor einem Jahr, als ich aus meinem Afrikaurlaub wiederkam, war der Gedanke, etwas in der Entwicklungshilfe zu tun. Das wäre sicher eine große Aufgabe, aber was soll ich da bewirken? Gibt es nicht Organisationen, die das viel
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