Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Stadt war es wert. Dennoch, mein Herz ist zurzeit ein Pilgerherz, und das will gehen. Ich bin richtig heiß darauf, morgen wieder meine Wanderschuhe zu schnüren. Nicht der Berg, sondern der Weg ruft!
Die Vorfreude darauf lasse mir auch nicht vom Regen nehmen, der seit den frühen Abendstunden für graue, herbstliche Stimmung sorgt. Morgen wird ein schöner Tag, da bin ich fest von überzeugt… .
Blick auf Auxerre
Tag 27, Auxerre - Vézelay 55 km (!)
Gestern hatte ich mich noch kurzf ristig zum Frühstück für heute Morgen angemeldet, nachdem mir das umfangreiche Buffet ins Auge gesprungen war. So etwas wollte ich mir nicht entgehen lassen… .
Zum wiederholten Mal fiel ich durch mein Essverhalten auf. Hemmungslos labte ich mich an den frischen Leckereien und trank eine Tasse Milchkaffee nach der anderen. Ich kostete das Frühstück so richtig aus. An meinem Nachbartisch wechselte in der Zeit 3 Mal die Belegschaft. Als die Familie, die zuerst neben mir gesessen hatte, beim Verlassen des Hotels sah, dass ich immer noch am Speisen war, konnte sie ihre spontane Fassungslosigkeit ob meiner „Fressorgie“ kaum verbergen. Schade, dass ich das anschließende Gespräch der Familie nicht verstehen konnte. „Komisch, dieses deutsche Volk! Haben die zu Hause nicht genug zu essen?“ So oder ähnlich werden sie wohl geredet haben. Egal, wenn ich das Frühstücksverhalten der Franzosen sehe, fällt mir auch nichts anderes ein: „Selber komisches Volk!“
Nicht nur das! Fast jeden Tag, seitdem ich in Frankreich bin, bekomme ich vor Augen geführt, dass gehobene Esskultur definitiv nicht unbedingt die Sache des Durchschnittsfranzosen ist. Sie bekommen es hin, nach wenigen Minuten den Tisch in ein kleines Schlachtfeld zu verwandeln. Wofür benutzen die eigentlich einen Teller? Ich behaupte mal kackfrech, dass sogar ich kultivierter bin, obwohl ich mit Begriffen wie Etikette bei Tisch so viel am Hut habe wie der Papst mit Kondomen. Das Knigge-Buch lese ich allenfalls zur eigenen Belustigung auf dem Klo. Trotzdem benehme ich mich am Tisch wie ein zivilisierter Mensch. Was mich kolossal ärgert, ist die Unsitte vieler Leute, sich den Teller vollzupacken, nur die Hälfte zu essen, den Rest in den Abfall zu werfen und anschließend erneut ans Buffet zu gehen, um den Teller neu zu beladen. Diese Auswüchse unserer Überflussgesellschaft kotzen mich an, sind aber leider überall auf der Welt zuhause, wo das Angebot an Nahrungsmitteln groß genug (bzw. zu groß) ist. Alle ab nach Afrika, dort wo viele Menschen hungern müssen, für jeden Reiskorn dankbar sind! Vielleicht lernen sie dort, etwas bewusster mit wertvollen Ressourcen umzugehen. Was rege ich mich auf? Irgendwann werden wir sowieso alle von unserem eigenen Handeln eingeholt.
Wende ich mich lieber den schönen Dingen zu, davon gab es speziell heute mehr als genug! Nach über einer Stunde am Frühstückstisch war es an der Zeit, aufzubrechen. Gut gestärkt war ich ja nun. Die Dame an der Rezeption, die heute Frühdienst hatte, staunte nicht schlecht über meinen ungewöhnlichen Rechnungsbetrag. Sogar das Frühstück musste ich nicht bezahlen. Da hat es die junge Frau, bei der ich eingecheckt hatte, wirklich gut mit mir gemeint. Hoffentlich bekommt sie deswegen keinen Ärger. Na ja, ich denke, sie wird schon nichts getan haben, was sie nicht verantworten kann.
Trüb war es, als ich losmarschierte. Juckte mich aber nicht, ich strotzte vor Energie, das merkte ich bereits nach wenigen Schritten. Die ersten Kilometer wanderte ich am Ufer der Yonne entlang, unter anderem vorbei am Trainingsgelände des Fußballclubs AJ Auxerre. Bereits nach 15 Minuten setzte leichter Regen ein und wurde immer stärker. Ich durfte mir wieder einmal meinen Poncho überwerfen. Ein paar Angler trotzten dem Wetter, ebenso einige gut durchtrainierte Jogger, die eine Trainingsgruppe bildeten. Ansonsten war kein Mensch auf den Beinen. Ich war total super drauf, sang zwar nicht im Regen, pfiff aber dafür umso lauter vor mich hin. Auch Lieder, die es wahrscheinlich gar nicht gibt, zählten dabei zu meinem Repertoire. Irgendwann landete ich bei dem Fallschirmjägerlied aus alten Bundeswehrzeiten, welches wir (Rekruten) während der Formalausbildung bis zum Erbrechen auf dem Exerzierplatz intonieren mussten. „Grün ist unser Fallschirm, froh das junge Herz,… .“
Mit diesem Lied kamen plötzlich die ganzen Erinnerungen an die 15 Monate, die ich
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