Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
besser können, die eine bestehende Infrastruktur haben und so viel zielgerichteter helfen können? Wahrscheinlich ist es sinnvoller, gute Projekte durch Spenden und Patenschaften zu unterstützen und sein Engagement auf diese Weise auszubauen. Was kann ich schon tun, da ich ohne nennenswerte Talente und Fähigkeiten ausgestattet bin, die in der Entwicklungshilfe erforderlich sind? Nein, diesen Gedanken stufe ich inzwischen als eher unsinnig ein. Gutes tun ja, aber purer Aktionismus in diese Richtung nein! Außerdem will ich nicht alles aufgeben, was mir lieb und wichtig ist. Nein, zu diesem Schritt bin ich (noch) nicht bereit.
Am liebsten würde ich ein einfaches Anwesen inmitten schöner Natur erwerben, ganz in der Nähe des Jakobsweges, und das schrittweise zu einem Beherbergungsbetrieb für Pilger, Wanderer und Gruppenreisende aufbauen. Dazu ein kleiner bewirtschafteter Einkehrbetrieb mit Biergarten, fertig! Keine große Geschichte, nur eine Existenzgrundlage. Gut wirtschaften kann ich ja, bestimmt würde ich es mittelfristig hinbekommen, Überschüsse zu erarbeiten, mit denen sich dann sinnvolle Hilfsprojekte unterstützen lassen. Bin überzeugt, mit den richtigen Ideen könnte das Ganze eine positive Eigendynamik bekommen. Tja, muss ich auch das nur wollen? Mal schauen… . Jedenfalls schreit dieses Thema danach, noch öfter und eingehender behandelt zu werden. Dann wird sich schon zeigen, wie ausgeprägt die Sache mit dem Willen ist… .
Eines weiß ich: Ich will nach Santiago! Und so wie es heute gelaufen ist, bewege ich mich mit Siebenmeilenstiefeln in diese Richtung. Auch nach weit über 40 km spürte ich keine Ermüdungserscheinungen! Einmalig! Es dauerte bis Kilometer 50, bis ich in
Asquins landete, jenem Ort, an dem sich Pilger früher auf ihrem Weg nach Santiago
versammelten. Einen Moment hielt ich vor der ehrwürdigen Kapelle inne, dann ging
es weiter. Vézelay hatte ich bereits in meinem Blickfeld. Hoch oben auf einem Hügel
thront majestätisch die Basilika, sie schien mich zu erwarten. 5 km waren es noch. Erst auf dem allerletzten Kilometer, der steil hinauf führte, spürte ich so etwas wie Kräfteverschleiß. Vézelay wollte halt erobert werden! Exakt mit dem Glockengeläut um 20 Uhr erreichte ich den höchsten Punkt und befand mich direkt vor der imposanten Basilika St. Maria Magdalena, die von der UNESCO als Weltkulturerbe unter Schutz gestellt ist. Ich war überwältigt! Einen kurzen Blick ins Innere konnte ich noch erhaschen, bevor mir eine Nonne signalisierte, dass sie das Tor schließen wolle. Für einen ausführlichen Besuch werde ich mir morgen Zeit nehmen. Dieser Ort hat definitiv eine besondere Aura, daran besteht für mich kein Zweifel.
Nicht weit entfernt fand ich in einem netten Altbauhotel auf Anhieb ein günstiges Zimmer, direkt unter dem Dach gelegen und mit frontalem Blick auf die zum Greifen nahe Basilika. Die Zimmer haben hier Namen und meines heißt passenderweise St. Jacques de Compostelle. Na, wenn da nicht jemand seine Finger im Spiel hatte. Nur an Zufälle mag ich jedenfalls nicht glauben.
Nach dem Abendessen in einem urigen Pfannkuchenhaus sitze ich nun in meinem
kleinen Zimmer und lasse sowohl den heutigen Tag als auch den bisherigen Weg noch einmal an mir vorüberziehen.
Schneller als ursprünglich erwartet bin ich nun in Vézelay, jenem ersehnten Zwischenziel nach knapp einem Drittel der Gesamtstrecke. Viel habe ich schon jetzt erlebt, kein Tag war wie der andere. Die Dinge haben sich im Laufe der bisherigen Wanderung verschoben. Ich bin jetzt ganz tief drin, fühle mich gleichzeitig weit weg vom Rest der Welt. Nicht ich dominiere den Weg, sondern der Weg leitet mich, und ich lasse es einfach geschehen. Der heutige Tag hat mir dabei mental, geistig und auch physisch eine neue Tür geöffnet. Der Respekt vor dem was noch kommt bleibt, gleichzeitig wächst meine Zuversicht, es schaffen zu können. Mal sehen, was wird. Ich freue mich jedenfalls drauf. Werde vermeiden, zu häufig an Santiago zu denken, der Weg bleibt das Ziel, und ich fahre besser damit, nur von Tag zu Tag zu planen.
Mit dem Erreichen von Vézelay hat auch mein Reiseführer ausgedient. Zum Glück möchte ich sagen. Die heutige Etappe hat mir wieder einmal gezeigt, dass die meisten Beschreibungen darin völlig unzureichend sind. Gott sei Dank habe ich mich von Auxerre bis Vézelay fast komplett dem Weg hingeben können, der wirklich gut markiert ist. Hätte ich mich an dem
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