Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
weiß ich, warum ich Fußpilger bin. Auf derartige Eventualitäten kann ich sehr gut verzichten. Davon abgesehen ist man mit dem Fahrrad viel zu schnell unterwegs, wie ich finde.
Nur kurz nach dieser Begegnung traf ich auf einem idyllischen Naturpfad eine 6- köpfige französische Pilgergruppe bei der Rast. Zwei der Männer erkannte ich auf Anhieb aus Saint Révèrien. Dieser Truppe haben Karl-Heinz und ich es also zu verdanken, dass wir kein Bett in der dortigen Herberge bekommen haben. Die Männer sind insgesamt nur eine Woche unterwegs, gehen bis zu einem Ort, dessen Namen ich schon wieder vergessen hatte, als ich mich mit einem freundlichen Pilgergruß von der lustigen Herrenrunde verabschiedete. In Nevers würde ich heute vor ihnen sein, dort könnten sie mir also kein Bett wegnehmen, schoss es mir mit gespielter Genugtuung durch den Kopf. Gut gelaunt setzte ich meinen Weg fort.
Ohne Ermüdungserscheinungen erreichte ich nach 18 km Guerigny, jenen Ort, wo wahrscheinlich Karl-Heinz letzte Nacht Quartier bezogen haben dürfte. Beim Durchqueren des Städtchens stellte ich mir die Frage, ob nun Prémery oder Guerigny schäbiger ist. Den Ausschlag zugunsten von Guerigny gab nach kurzem Abwägen schließlich eine riesige Industriebrache, die sich die Bezeichnung Schandfleck wirklich redlich verdient hat. So etwas Heruntergekommenes hatte Prémery nicht zu bieten. Wie viele Tausend Menschen haben hier wohl vor Jahren ihren Arbeitsplatz verloren? Ich weiß es natürlich nicht, aber dem Ort sieht man an allen Ecken und Enden die Auswirkungen eines wirtschaftlichen Niedergangs an. Beinahe gewann ich den Eindruck, dass in einigen Straßenzügen jedes zweite Haus leer steht. Die wenigen bewohnten Häuser geben ein jämmerliches Bild ab. Meine für hier geplante Pause strich ich wegen der optischen Tristesse. Bald hatte mich die Natur wieder.
Gar nicht so weit hinter Guerigny bekam ich das Kontrastprogramm zur dortigen Armut geboten. Feudale Landhäuser in schönster Umgebung vermittelten Wohnträume in Vollendung. Erst 8 km vor Nevers fand ich endlich eine Bank, die meinen hohen Ansprüchen an einen geeigneten Pausenplatz gerecht wurde, gute Aussichten inklusive.
Nachdem ich am Morgen bei dichter Bewölkung gestartet bin, herrschte inzwischen schönstes Pilgerwetter mit strahlendem Sonnenschein. Ich bin zwar in Frankreich, gedanklich verschlug es mich jedoch mal wieder nach Irland, da mir ein paar Ohrwürmer von Paddy Schmidt nicht aus dem Kopf gehen wollten. Irland - noch nie war ich dort und doch mag ich dieses Land wie nur wenige andere. Ich glaube, es wird Zeit, mal dorthin zu reisen, besonders zum ausgiebigen Wandern soll es ja vorzüglich geeignet sein. Ob ich Frankreich nach meiner Durchquerung eine ähnliche Sympathie entgegenbringe? Ich habe Zweifel. Es ist schön, keine Frage. Die meisten Menschen sind wirklich nett und gastfreundlich, viele gleichermaßen alte wie beeindruckende Städte durfte ich schon erleben, tolle Kirchen habe ich betreten, viel atmosphärischer als in Deutschland. Und doch bleibt mir Frankreich fremd, nicht nur wegen der Sprache. Ob es die Lebensart ist, die Mentalität der Menschen, ich kann es nicht benennen, es ist ein reines Gefühl aus dem Bauch heraus. Nur eines weiß ich ganz sicher, alltägliche Dinge, denen man schwärmerisch das Siegel „Französische Kultur“ verpasst, sind es ganz sicher nicht, die mich später wieder in dieses Land ziehen werden. Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen, wenn ich an Straßencafés neben viel befahrenen, auspuffverseuchten Kreisverkehren denke, wo sich Menschen während der Zeitungslektüre ihren viel zu teuren Kaffee schlürfen und so lange Croissants darin stippen, bis er mit dem Blätterteiggebäck eine klebrige Pampe bildet. Das nennt man also Kultur!? Witzig! Kaum einen Fußgänger ohne Baguette unterm Arm anzutreffen, ist das auch schon Kultur? Hm, wird dieser Begriff nicht viel zu verschwenderisch eingesetzt, wenn es um die Beschreibung bloßer charakteristischer Merkmale französischer Lebensart geht? Was ist daran Kultur? Ist ja auch eigentlich vollkommen egal. Jeder so, wie er mag! Und was hat das alles mit Irland zu tun? Nichts! Oder es ist nur eine andere Form auszudrücken, dass ich im Fußball immer zu den grünen Jungs halten werde, wenn sie gegen Frankreich spielen. Wen interessiert‘s? Richtig, keinen! Darum an dieser Stelle ein Hoch auf echte Kultur, und zwar die bayrische Biergartenkultur!
Ja,
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