Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
schaue ich auf die Kirche und die Straße, über die ich nach Valigny gelangt bin.
Bis zum Abendessen um 19:30 Uhr hatte ich noch etwas Zeit und nutzte die, indem ich auf meinem Bett lümmelte. Eine guten Gelegenheit, diesen seltsamen Tag Revue passieren zu lassen. Habe außerdem mal eine Großaufnahme von meiner Visage gemacht. Sehe ziemlich scheiße aus! Trotz dichter werdenden Vollbarts bin ich schmal geworden, auch die tiefen Ränder unter den Augen gefallen mir nicht. Der Weg geht augenscheinlich an die Substanz, obwohl ich das körperlich im Moment gar nicht so empfinde. Beim Essen achte ich schon auf möglichst fett- und kalorienreiche Kost, um genügend Energie für die täglichen Märsche zu haben, dennoch geht es an die Reserven. Wie es ausschaut, werden da noch so einige Kilogramm Körpergewicht auf der Strecke bleiben.
Ich komme nicht umhin, zum wiederholten Male die „hohe Kunst“ der französischen Haute Cuisine zu erwähnen. Zum Abendessen im „heimeligen“ Ambiente des Restaurants wurde mir ein vegetarisches Gericht zugesagt. Überhaupt kein Problem, versicherte man mir. Beim Servieren glaubte ich an einen schlechten Witz. Auf meinem Teller verloren sich ein paar kleine Salzkartöffelchen, die in einer viel zu dünnflüssigen hellen Soße schwammen. Dazu gab‘s ein kleines Schälchen mit labbrigen Salatblättern, getränkt in Essig und Öl. Mehr nicht. Hm, so geht das also, einfach das Fleisch weggelassen, nur die Beilagen servieren, fertig ist das vegetarische Menü!
Nicht mit mir! Ich hatte keine Lust, mich damit abspeisen zu lassen, und das bei einem Menüpreis von über 11,- €. Zu meinem Glück hatte Gerard zwischenzeitlich an meinem Tisch Platz genommen. Mit ihm hatte ich jemanden, der in bestem Französisch meiner Unzufriedenheit Ausdruck verleihen konnte. Ihrem Blick nach zu urteilen schien die Chefin wenig Verständnis für meine Forderung nach einem anständigen Fleischersatz zu haben. Mein freundliches Lächeln quittierte sie mit einer süß-sauren Grimasse. Mir war‘s egal. Ein paar Minuten später bekam ich ein frisch dampfendes Omelette serviert – richtig lecker! Geht doch!
Eine schöne Angewohnheit in Frankreich ist die Käseplatte, die nach dem Menü von Tisch zu Tisch wandert. Ganz unbescheiden habe ich mir von allen Sorten ein Stück abgeschnitten und wurde so doch noch satt. Bei einem Glas Wein ließ ich mit Gerard den Tag gemütlich ausklingen. Er erzählte mir von seiner beruflichen Tätigkeit als Gärtner, die er viele Jahrzehnte ausgeübt hat. Allein 27 Jahre gab er als Ausbilder seine Liebe für Pflanzen an nachfolgende Generationen weiter. Für ihn war es das größte Glück, einen Beruf auszuüben, der ihm gleichzeitig Herzensangelegenheit war. Heute gibt ihm dies eine tiefe Zufriedenheit - und die strahlt er aus!
Noch mehr Zaungäste
Tag 34, Valigny – Saint-Amand-Montrond 30 km
Mit dem erwartet lausigen Frühstück begann der Tag. Auch Valigny hatte über Nacht keine Schönheitskur erfahren. Im Frühdunst sah alles genau so trostlos aus wie gestern bei meiner Ankunft. Müden Schrittes begab ich mich auf die Straße ins Nirgendwo. Das Laufen fiel mir schwer, es war so grenzenlos öde. Über rund 10 km zog sich die Straße, und alles, was ich an dessen sichtbarem Ende sah, war Nebel. Ich konnte gehen, soweit ich wollte, das Bild blieb das gleiche. In diesem Trott erschien die Zeit wie eine gefühlte Ewigkeit. Zu allem Überfluss meldete sich schon kurz nach dem Start mein Magen mit einem vorwurfsvollen Knurren. Es war empfindlich kühl, ich hätte die lange Hose anziehen sollen. Lust, sie aus dem Rucksack zu kramen, hatte ich aber nicht, also erhöhte ich das Tempo, um mich auf diese Art zu wärmen. Ich wartete darauf, dass sich erste Regentropfen aus den tief hängenden Wolken lösten, doch es blieb trocken. Kilometer um Kilometer arbeitete ich mich voran, mein Motivationsdefizit behinderte mich dabei mehr als meine Physis. Die war okay!
Nach 11 km erreichte ich endlich den ersten nennenswerten Ort mit Boulangerie und kleinem Lebensmittelgeschäft. Baguette, Käse und Bananen sorgten für frische Energiezufuhr. Natürlich traf ich Gerard wieder, der sich ebenfalls ein zweites Frühstück gönnte. Er war von den Strapazen der vergangenen Tage etwas ausgelaugt und verlängerte seinen Aufenthalt, während ich mich nach nur kurzer Pause wieder auf den Weg begab. Und siehe da, es lief sich gleich viel
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