Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Grasbewuchs an manchen Stellen. Es gab nur wenige Höhenunterschiede, und wenn ich doch mal einen Hügel von 50 Metern zu „erklimmen“ hatte, bot sich von dort gleich ein erstaunlich weiter Blick über die Ebene. Das Wetter war zum Pilgern ideal, zwar dicht bewölkt, aber durchweg trocken bei angenehmen 15°C.
Was ich jetzt gerne erfahren würde, ist eine Antwort auf die Frage, warum mir beim Marsch durchs platte Land ausgerechnet mein Testament in den Sinn kam. So ein Quatsch! Erstens habe ich keins, zweitens würde es sich gar nicht lohnen, da ich außer ein paar Kröten eh‘ nichts zu hinterlassen habe, und drittens fühle ich mich gerade quicklebendig. Was sollte dieser Blödsinn also? Alles, was ich wirklich schriftlich festzuhalten hätte, wäre mein unbedingter Wille, nicht beerdigt zu werden. Wenn es soweit ist, möchte ich, dass der Wind meine Asche über dem Meer verteilt. Sonst nichts! Bloß keine Grabstätte oder dergleichen. Und schon gar keine Trauerfeier! Sterben ist etwas natürliches, gehört zum Leben dazu. Warum also das betrauern? Ist nicht Trauer nur eine Form von Unfähigkeit, loszulassen, zu akzeptieren, dass sich ein Kreis geschlossen hat? Ja, liegen so mancher Trauer nicht gar egoistische Motive zugrunde? Ich weiß, das erscheint ein bisschen provokant, ist es aber gar nicht! Denn nüchtern betrachtet ist nämlich was dran. Nur - wir sind eben Menschen, unvollkommen, haben Emotionen und leben diese aus, mal mehr, mal weniger. Deswegen wird unter anderem getrauert… . Und was hat das noch mit meinem Testament zu tun? Nix! War nur mal wieder so ein kleiner gedanklicher Ausflug. Kein Thema bleibt unberücksichtigt. So soll es wohl sein. Übrigens, ich werde jetzt kein Testament schreiben. Hier steht ja alles! Das Thema Tod begleitete mich noch eine ganze Weile. Nicht, dass es mich bedrückte, es war einfach da. Verzichte an dieser Stelle aber auf weitere „pseudophilosophische“ Ergüsse.
Über eine langgezogene Gerade erreichte ich Valigny. Trostlos, beinahe unheimlich
anmutend breitet dieser Ort eine weni g willkommen heißende Aura aus. Gespenstisch liegen verlassene, zum Teil verbarrikadierte und heruntergekommene Häuser um eine breite T-Kreuzung, die den Ortsmittelpunkt markiert. Die baufällige Kirche fügt sich „harmonisch“ in ein Gesamtbild ein, das von Grautönen dominiert wird. Selbst das Wetter leistet hier seinen Beitrag mit tief hängenden Nebelschwaden. Die Straße aus dem Ort hinaus verläuft sich darin nach nur wenigen hundert Metern im Nirgendwo. Förmlich geschluckt wird sie vom milchigen Schleier, der am Horizont zu einer trüben, konturlosen Suppe verschwimmt. Ich blieb eine Weile stehen, schaute mich um und ließ die eigenartige Atmosphäre auf mich wirken. Lange folgte mein Blick einem leicht zerknüllten Stück Papier, welches bei eigentlich nur leichtem Luftzug wie von einer kleinen Windhose über dem Asphalt umhergewirbelt wurde. In dieser ohnehin trostlosen Szenerie kam mitten über die Straße ein alter, offenbar geistesgestörter Mann mit ausgestreckten Armen auf mich zugelaufen und bettelte um Geld – Unwirklich!! Geradezu ein Wunder, dass ausgerechnet auf diesem Flecken Erde ein Hotel existiert, das sogar geöffnet hat und im Vergleich zu den anderen Häusern regelrecht gepflegt erscheint. Eine resolute Frau war es, die aus dem Hotel herausstürmte und mit deutlichen Worten und Gesten den Mann vertrieb. Dies also ist mein „Zuhause“ für die kommende Nacht, ging es mir durch den Kopf. Wirklich anfreunden wollte ich mich mit diesem Gedanken nicht, jedoch hatte ich keine Wahl, der nächste Ort mit einer Unterkunftsmöglichkeit ist 18 km entfernt.
Als ich in das Hotel, das gleichzeitig Kiosk, Zeitungsladen und Café-Bar ist, eintrat, wurde ich von einer Rauchwolke und neugierigen Blicken Einheimischer empfangen. Mehr oder weniger gelangweilt saßen sie vor ihrem Kaffee, lediglich an einem Tisch war eine lebhafte Unterhaltung im Gange, Kraftfahrer vermute ich. Die Chefin des Hauses, eine ältere Dame mit Kittel und Schürze, empfing mich wenig freundlich und wies ihren Sohn schroff an, mich auf mein Zimmer zu bringen. Kurios: Der Weg hinauf führte durch die Restaurantküche. Bei der Gelegenheit stellte ich immerhin fest, dass die einen blitzsauberen Eindruck machte. Das Zimmer entspricht meinen nicht hoch angesetzten Erwartungen, verfügt über ein gescheites Bett, eigenes Klo und Dusche, also alles was ich brauche. Aus dem Fenster
Weitere Kostenlose Bücher