Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
gegönnt hatte. Nach kurzem Plausch verabschiedeten wir uns mit besten Wünschen voneinander, da wir vermuteten, uns nicht mehr zu treffen. Ich hatte mir für heute ein wesentlich längeres Stück vorgenommen, und ob Petra mich danach noch einmal einholt, bezweifelten wir beide. Wir werden sehen.
Ich merke jetzt deutlich, wie ich eine von Tag zu Tag größer werdende Leichtigkeit gewinne. Ja, ich liebe das Laufen. Wahrscheinlich hat mir mein emotionaler Ausnahmezustand vor ein paar Tagen sogar geholfen und gibt mir jetzt innere Ruhe und Stärke. Ich bezweifle, dass ich ähnliche Wellentäler auf meinem weiteren Weg noch einmal durchlaufen werde. Aber gemach, es kann noch so viel passieren, ich habe ja noch nicht einmal die Hälfte der Gesamtdistanz zurückgelegt. Den derzeitigen Genuss am Laufen will ich mir durch das Bremsen allzu optimistischer Prognosen aber keineswegs schmälern. Nur auf dem Boden bleiben sollte ich.
Beinahe unverhofft zog später eine Wolkenfront auf, aus der sich kurz darauf ein warmer Frühlingsregen ergoss. Störte mich nicht wirklich, gerade hatte ich nach wunderschöner Wanderung Bénévent-l’Abbaye erreicht. Bevor ich nass werden konnte, fand ich „Zuflucht“ in der alten Abteikirche, in der ich mit ein paar neugierigen Nichtpilgern ins Gespräch kam. Auch Gilbert traf ich in der Kirche. Er war schon geduscht und umgezogen, hatte in der örtlichen, vom Mineralölkonzern Shell gesponserten Pilgerherberge Quartier bezogen.
Mir war es viel zu früh, schon abzubrechen und außerdem, ich wollte gehen! Nach einer halben Stunde hörte es auf zu regnen und ich konnte meinen Weg fortsetzen, ohne mir den Poncho überziehen zu müssen. Nur eine Stunde später hatte sich auch die letzte kleine Wolke verzogen und strahlender Sonnenschein brachte den Frühling zurück. Meine Augen wurden verwöhnt durch eine immer wildwüchsiger und waldreicher werdende Landschaft. Ich hatte das Gefühl, selbst die Tierwelt freute sich über die Rückkehr des schönen Wetters. Die vielen unterschiedlichen Geräusche waren fast als Lärm zu bezeichnen, angenehmer Lärm wohlgemerkt. Seit vielen Tagen sah ich auch erstmals wieder Schmetterlinge, und die gleich in großer Anzahl. Wenn das kein gutes Zeichen ist. Ich geriet richtig ins Schwärmen, insbesondere dann, wenn die Höhenlagen immer wieder weite Blicke freigaben. Dabei wunderte ich mich zum wiederholten Mal, wie dünn in Frankreich alles besiedelt ist. Auch nach 37 Tageskilometern sehnte ich mein heutiges Etappenziel, Châtelus-le- Marcheix, noch nicht herbei, musste aber hier Schluss machen, da es die nächsten knapp 20 km keine Alternativen gibt. In dem malerisch gelegenen Châtelus gibt es eine echte kleine Pilgerherberge, die ich mir mit einer französischen Dame und einem Herrn gleicher Nationalität teile. Sie spricht ein wenig Englisch, so dass wir uns verständigen können. Die beiden sind zwar nicht zusammen gestartet, laufen aber jetzt schon einige Tage zusammen. Die Pilgerreise der Frau endet in diesem Jahr in Limoges, während der Mann noch bis Perigeux weitergehen wird.
Die einzig winzig kleine Sorge, die ich hatte, war die, dass es in dem kleinen Nest hier nichts zu essen geben könnte. Unbegründet, wie sich herausstellte. Manchmal ist es gut, in Frankreich jemanden an der Seite zu haben, der französisch spricht. Meine Pilgerbekanntschaft regelte mit dem Koch des einzigen Restaurants im Ort, dass wir heute Abend ein Menü bekommen konnten, obwohl die Küche eigentlich kalt war. Und für morgen früh hat die Verwalterin der Pilgerherberge versprochen, uns Frühstück zu bringen. Alles ist gut!
Karl-Heinz hat übrigens letzte Nacht in Châtelus verbracht, das entnehme ich seinem Eintrag im Gästebuch der Pilgerherberge, die zwar klein, etwas eng, aber sauber und günstig ist. Der Kerl spult ein beachtliches Pensum ab, alle Achtung! Wahrscheinlich wird sein Vorsprung sogar noch wachsen, da ich für Limoges einen Ruhetag plane. Die Stadt soll sehr schön sein, das hat mir Gerard gesagt, und außerdem werde ich dort die Möglichkeit haben, mich um ein neues Paar Schuhe zu kümmern.
Beim leckeren Abendessen hatte ich Gelegenheit, meine französischen Mitpilger Christine und Pierre etwas besser kennenzulernen. Christine ist das erste Mal auf dem Camino, während Pierre bereits 2 Mal auf unterschiedlichen Routen nach Santiago gepilgert ist. Beide sind sehr nett, auch wenn ich mich nur mit Christine direkt unterhalten
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