Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
Stille Abschnitte mit kaum erkennbarer Strömung wechseln sich mit wilden Passagen ab, an denen das Flüsschen zu einem reißenden Gewässer mutiert und unter lautem Getöse durch massive Felsschluchten schießt. In einer solchen Umgebung gehen zu dürfen, ist wie pure Meditation, man sieht die Natur, man hört sie und man meint sie zu riechen. Jeder Gedanke, egal an was, würde dieses Empfinden nur trüben!
Ich war fast traurig, als ich mich mit dem Überqueren einer 400 Jahre alten Brücke von diesem Märchenwald zu verabschieden hatte und meinen Weg zunächst auf einer wenig befahrenen Straße fortsetzte. Es blieb zumindest sehr angenehm, die hügelige Landschaft erlaubte trotz starker Bewölkung immer wieder schöne Fernblicke. In meinem lockeren Trott musste ich irgendeine Markierung übersehen haben. Auf jeden Fall stand ich irgendwann in einem winzigen Dörfchen, das weder auf einer Karte vermerkt ist, noch in meinem Reiseführer Erwähnung findet. Der sehr kurvenreiche Verlauf der Strecke machte eine Orientierung nicht eben leicht, trotzdem entschied ich mich instinktiv für eine Richtung, irgendwohin musste ich ja gehen. Angesichts der frühen Tageszeit und der nur geringen Entfernung von 24,5 km bis zu meinem heutigen Zielort La Souterraine machte ich mir keine großen Sorgen, selbst wenn am Ende ein paar Extra-Kilometer herauskommen sollten. Auch ein heftiger Regenguss störte mich nicht weiter. Er hatte sich bereits vorher angekündigt, so dass ich dieses Mal meinen Poncho rechtzeitig überwerfen konnte. In einem verträumten Ort erfuhr ich, dass ich mich nicht gänzlich auf dem Holzweg befand. So hielt sich mein Umweg mit maximal 3 km in sehr erträglichen Grenzen, bis ich zweifelsfrei wieder auf dem Camino war.
In der Folge sorgte vor allem „bestes“ Aprilwetter für ständige Abwechslung. Düstere Wolken, kurze kräftige Schauer sowie strahlend sonnige Abschnitte wechselten sich in schneller Folge ab und sorgten unter anderem für eine tolle Farbintensivität. Ich ließ das Naturschauspiel gerne über mich ergehen, fühlte mich völlig aufgeräumt und unbelastet. In meinem Kopf herrschte eine wohltuende Leere.
Nach etwa zwei Dritteln der Etappe traf ich auf Petra, meine holländische Begegnung aus Crozant. In ihrer Regenbekleidung erkannte ich sie kaum wieder. Da wir beide gerade in unserer eigenen Welt waren, begrüßten wir uns nur kurz und liefen dann getrennt weiter.
Als ich La Souterraine erreichte, lagen wieder einmal bedrohlich wirkende Wolkenberge über der Stadt, die von einem markanten mittelalterlichen Turm überragt wird. Im Licht der schräg stehenden Sonne ein prachtvoller Anblick! Noch bevor ich ein schützendes Dach über dem Kopf fand, entlud sich die Wolke in einem sintflutartigen Platzregen. Vor einem ehemaligen Konvent, gleichzeitig als Pilgerherberge in meinem Buch deklariert, bat ich um Einlass. Durch die Gegensprechanlage gab man mir jedoch kurz und bündig zu verstehen, dass sonntags geschlossen sei. Ich durfte also im Regen stehen bleiben. Na, so etwas nenne ich Gastfreundschaft, vom guten Geist des früheren Klosters scheint hier nichts übrig geblieben zu sein. Sei es drum, ich musste mir was anderes suchen. Das Foyer de Jeune Travailleur war mein nächstes Ziel. Hier wurde mir zwar vorbildlich geholfen, ein Bett für die Nacht brachte mir das trotzdem nicht – alle Zimmer belegt!
Ich latschte ein 2. Mal von einem zum anderen Ende des Städtchens, in der Hoffnung, beim 1. Durchqueren eine Unterkunft übersehen zu haben. Dem war leider nicht so, außer einem geschlossenen Hotel fand ich rein gar nichts. Dafür rief mir von hinten Petra zu, die es sich auf einer Bank bequem gemacht hatte. Ich gesellte mich zu ihr und erzählte von meinen Schwierigkeiten der Quartiersuche. Sie hatte es besser, da sie bereits gestern eine telefonische Zimmerreservierung in einer Privatpension vorgenommen hatte. Sie musste nur bis 17 Uhr warten, da die Eigentümer erst um diese Zeit wieder nach Hause kamen. Ich beschloss, mich Petra einfach anzuschließen und hoffte darauf, dass noch ein Platz für mich frei sein würde.
Die Wartezeit überbrückten wir mit einer netten Unterhaltung. Petra erzählte mir, dass ihr der Weg von Le Puy nach Roncesvalles besser gefällt als der von Vézelay, nicht zuletzt wegen der besseren Pilgerinfrastruktur. So unterschiedlich können die Geschmäcker sein, Gerard zum Beispiel mag diesen Weg lieber. Um mir ein eigenes Urteil zu
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