Abenteuer Jakobsweg - Höhen und Tiefen einer langen Reise (German Edition)
kann.
Mit einem Anruf bei Wiebke beschloss ich diesen wunderbaren Tag. Im Gegensatz zu mir hat sie gerade einen moralischen Tiefausläufer zu überstehen. Sie mag sich gar nicht damit anfreunden, dass ich noch rund 6 Wochen unterwegs sein werde. Ich
habe zwar versucht, sie zu motivieren, aber es is t natürlich schwer. Während ich jeden Tag neue Eindrücke aufsauge, geht sie daheim ihrer mitunter wenig abwechslungsreichen Alltagsbeschäftigung nach. Die Welten, in denen wir zur Zeit leben, sind einfach extrem weit auseinander, nicht nur räumlich. Obwohl Wiebke mir natürlich fehlt, habe ich nicht andeutungsweise das Bedürfnis, frühzeitig nach Hause zurückzukehren. Mein Weg ist für Wiebke sicher eine mindestens genauso große Herausforderung wie für mich selber. Ich bin aber überzeugt, wir beide werden es schaffen, sie zu meistern, jeder auf seine Weise.
Wenigstens in Gedanken nehme ich Wiebke mit ins Bett… .
Tag 41, Châtelus – Saint-Léonard-de-Noblat 30 km
Schöne Überraschung am Morgen: Sarah, die Verw alterin der Pilgerherberge, hat uns zum Frühstück in ihre Wohnung eingeladen. Sie betreibt nebenbei eine eigene kleine Pension, ganz familiär. Irgendwie juckt mich der Gedanke, später selber mal so etwas Ähnliches aufzuziehen, überschaubar, ganz auf Wanderer, Ausflügler und vielleicht auch Pilger zugeschnitten, was wiederum voraussetzt, dass ein Jakobsweg in der Nähe verläuft. Es ist ein reizvoller Gedanke, auf diese Art unterschiedliche Menschen kennenzulernen, interessante Geschichten zu erfahren und ganz nebenbei damit (hoffentlich) den Lebensunterhalt zu verdienen. Das Ganze in einer stadtfernen und natürlichen Umgebung, das hätte was. Ich bin sicher, mit einer freundlichen Gestaltung, persönlichen Note, ganz bewusst ohne großartigen Luxus, dafür einem ehrlichen Service würde das bestimmt funktionieren. Wenn ich nur an die vielen Einrichtungen sowohl in der Gastronomie als auch im Fremdenverkehr denke, die trotz mäßigem Service und unfreundlichem Personal teilweise sogar recht erfolgreich laufen, dann ist für ein nettes, gut geführtes Haus immer Platz. Schade, dass die Tenne finanziell ein paar Nummern zu groß ist. Aber es gibt bestimmt an vielen anderen Orten erschwinglichere Gelegenheiten. Träumen ist ja erlaubt, von Santiago träume ich schließlich auch noch, womit ich wieder auf dem Weg bin… .
Nach dem Abzug morgendlicher Nebelschleier wartete ein wolkenloser Tag auf mich und die anderen. Die ersten Schritte gingen Christine, Pierre und ich zusammen, aber schon bald setzte ich mich von ihnen ab. Ich tauge nicht dazu, mich dem Tempo anderer Pilger anzupassen, ich will es auch gar nicht. Das lässt wohl auch Rückschlüsse auf mich als Mensch zu. Ich bin kein Herdentier! Zwar verbringe ich grundsätzlich sehr gerne Zeit in Gesellschaft, treffe mich mit Familie, Freunden und
Bekannten, aber genauso gerne gehe ic h eben auch meinen eigenen Weg, unbeeinflusst davon, was andere tun, denken oder für richtig halten. Das hat nichts mit fehlendem Respekt zu tun, mir ist nur diese Freiheit sehr wichtig! Nicht umsonst liegt mir zum Beispiel das Vereinswesen nicht. Mir ist das alles zu sehr reglementiert, durchorganisiert. Ich will nicht in jeder Stunde meines Lebens an feste Zeiten gebunden sein, bestimmte Dinge tun müssen, weil sie gerade auf irgendeiner Tagesordnung stehen, nein, genau das hält mich seit meiner Jugend im Fußballclub davon ab, einem Verein beizutreten. Die Mitgliedschaft im Schützenverein ist da ein Kompromiss, weil damit keine Verpflichtungen einhergehen und das Schützenfest nur alle 2 Jahre stattfindet. Ich liebe einfach meine Freiräume. Wohl ganz besonders deshalb sträubt sich auch so vieles in mir, nach meiner Rückkehr vom Camino wieder in eine ganz „normale“ Tätigkeit in einer ganz „normalen“ Firma zurückzukehren. Und aus genau diesem Grund fühle ich mich auf dem Camino in einer ganz speziellen Art zuhause. Keine Zwänge, keine Manipulation von außerhalb – traumhaft! Nein, ich bin wahrlich kein Herdentier. Gut, dass nicht alle Menschen so denken wie ich, viele wirklich nützliche und dem Gemeinwohl dienende Vereine würde es gar nicht geben. Ich habe große Hochachtung vor denen, die ihr Engagement in den Dienst solcher Einrichtungen stellen. Nützlich mache ich mich zwar auch gerne, nur eben frei von festen Bindungen. Ich glaube nicht, dass das zwangsläufig schlechter sein
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