Abenteurer sucht Frau fürs Leben
Ihr Blick fiel in den venezianischen Spiegel über dem Kamin. Sie strich sich das Haar hinter das linke Ohr, damit das Hörgerät voll zu sehen war.
Sie brauchte nicht ins Unterlagenarchiv zu schauen, um sich genau daran zu erinnern, was damals in Afrika passiert war. Den Beweis dafür sah sie jeden Morgen, wenn sie vor dem Badezimmerspiegel stand, und jeden Abend, wenn sie das Hörgerät entfernte und sich mit der Tatsache abfand, dass sie manche Dinge, die sie einst geliebt hatte, nie wieder hören konnte.
Sie lebte jeden einzelnen Tag ihres Lebens mit der Erinnerung.
Nach Aussage der Ärzte war es ein unglaubliches Glück, dass sie die geheimnisvolle Tropenkrankheit überlebt hatte, seit der sie auf einem Ohr taub war. Sie besaß immer noch ihren Verstand und genügend Gehör im anderen Ohr, um das Leben genießen zu können.
Ihr Vater war mit ihr zusammen von Afrika nach Hause gereist und hatte sie in ihrem Krankenbett tagelang kaum einmal allein gelassen. Es war vermutlich die längste Zeitspanne, die er jemals mit ihr zusammen in einem Raum verbracht hatte – wohl wissend, dass er gar nicht der Elternteil war, den sie eigentlich um sich haben wollte.
Lili erinnerte sich, wie sie immer wieder dieselben Fragen gestellt hatte – an ihn, an die Ärzte, an jeden, der in ihr Zimmer gekommen war. Wo ist meine Mum? Warum ist meine Mum nicht hier? Das bewies, wie schwer krank sie gewesen sein musste. Bis dahin hatte sie immer gewusst, dass ihre Mutter in Uganda so unerreichbar war wie auf einem anderen Planeten.
Gedankenverloren strich Lili sich die Haare wieder über das Ohr. Nein, sie brauchte kein Tagebuch, um sich in Erinnerung zu rufen, wo ihre Mutter sich vor all den Jahren aufgehalten und was sie dort getan hatte. Es starrte ihr jeden Tag ins Gesicht.
Lautes Gebell ertönte vor der Terrassentür. Die arme Belle fühlte sich vernachlässigt.
Zeit für Aussöhnung, dachte Lili. Das ist jetzt mein Leben, und es liegt an mir, das Beste daraus zu machen.
Langsam lenkte Kyle den Range Rover um eine Biegung in dem schmalen Weg und suchte beide Seitenstreifen ab, bis er ein kleines handgemaltes Schild an einer steinernen Säule entdeckte. Taylor House . Er hatte sein Ziel erreicht dank des Navigationssystems in Mikes Wagen und der Auskunft einer hilfsbereiten Lady, die gerade mit ihrem Hund Gassi gegangen war.
Er fuhr die breite Kiesauffahrt hinauf, die zu einem imposanten georgianischen Steinhaus mit quadratischen Fenstern und zahlreichen, unterschiedlich geformten Schornsteinen führte. Eine steinerne Veranda war mit pinkfarbenen Alpenveilchen in bunten Tontöpfen geschmückt. Lorbeerbäume standen zu beiden Seiten einer massiven Holztür, die in elegantem Marineblau lackiert war.
Kyle stellte den Wagen vor dem Vordereingang ab. Seine Stiefel knirschten auf dem Kies, als er von dem Ledersitz glitt und sich langsam in eine aufrechte Position brachte. Er streckte den rechten Arm über den Kopf, um die Spannung im Schultergürtel zu lösen. Die Fahrt von der Wohnung seines Vaters in London hatte wesentlich länger als erwartet gedauert, und sein Körper rächte sich für das lange Sitzen.
Tja, eine angebrochene Wirbelsäule, überdehnte Bänder und angerissene Sehnen heilen eben nicht über Nacht. Und auch nicht in meinem Fall. Vielleicht hat Mike recht.
Möglicherweise war es wirklich ratsam, für den Rest des Jahres auf Trekkingtouren zu abgelegenen Bergkliniken zu verzichten. Stattdessen sollte er sich darauf konzentrieren, wieder in Form zu kommen. Der Armbruch links war nur der letzte von vielen kleinen Unfällen, die Kyle im Laufe der Zeit allzu sehr auf die leichte Schulter genommen hatte.
Er dehnte seine Wirbelsäule und sah dabei zu den ausladenden Ästen der Blutbuchen und Eichen hinauf. Amseln und Rotkehlchen hüpften von einem tropfnassen Zweig zum anderen.
Ihm wurde bewusst, wie sehr ihm die englischen Jahreszeiten fehlten. Er schniefte und wickelte sich den Schal seines Vaters fester um den Hals. Dafür kannte er die prachtvollen wilden Rhododendronwälder im Himalaja wie seine eigene Westentasche und hatte den Geruch der Erde nach dem Sommermonsun noch in der Nase.
Ein Grauhörnchen huschte über das nasse Gras neben dem Haus und wühlte zwischen den gefallenen Blättern. Er schmunzelte – wie sehr hatte er auch diese vertrauten kleinen Dinge vermisst.
Dann musterte er die Umgebung des Hauses. An beeindruckend gepflegte Vorgärten schloss sich offenes Ackerland in alle Richtungen an,
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